Ambulante psychiatrische Akutbehandlung
Bornheimer: „Wir waren die Pioniere“
Die Vitos Klinik Bamberger Hof in Frankfurt war jahrelang die einzige Einrichtung in Hessen mit ambulanter psychiatrischer Akutbehandlung (APAH). Im Interview berichtet die leitende Ärztin Dr. Barbara Bornheimer von den Erfahrungen der Klinik.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Bei der ambulanten psychiatrischen Akutbehandlung war Ihre Klinik Vorreiter. Wie kam das?
Dr. Barbara Bornheimer: Wir haben am 1. April 2000 mit APAH angefangen, weil der Bamberger Hof geschlossen werden sollte. Aber aus Birmingham, der englischen Partnerstadt von Frankfurt, kannten wir die aufsuchende Behandlung. Dort kommt man fast ganz ohne stationäre Versorgung aus.
Wir haben dann ein Konzept geschrieben, viel Unterstützung bekommen und einen einzigartigen Vertrag mit den Krankenkassen geschlossen.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Die Behandlungsmethode wird sehr gut angenommen. Wir haben seit dem Start mehr als 4000 Patienten behandelt, etwa 20 pro Monat. Die meisten Patienten freuen sich auf die Besuche und bemühen sich sogar um etwas Bewirtung.
Sie finden es schön, dass sie sich nicht an die Regeln einer Klinik halten müssen und in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Die Klinik bleibt natürlich wichtig und ein Rückzugsort mit vielen Behandlungsmöglichkeiten, aber für viele ist es über die Jahre auch etwas geworden, das sie als eine Niederlage interpretieren.
Wenn sie eine psychotische oder depressive Episode zu Hause überwinden und es ohne stationären Aufenthalt schaffen, erleben viele Patienten das als Erfolg.
Welche Patienten profitieren besonders von dem Angebot?
Die größte Gruppe sind Patienten mit depressiven Erkrankungen. Stark profitieren auch Patienten mit ganz schweren Angsterkrankungen, die ansonsten vom System überhaupt nicht erfasst würden, weil sie oft jahrelang ihr Haus nicht verlassen.
Dazu kommen Patienten mit psychotischen Störungen und Jüngere, bei denen Klinik, Krankenhaus und Psychiatrie ungute Vorstellungen hervorrufen.
In welchen Fällen raten Sie von der ambulanten Akutbehandlung ab?
Es gibt Patienten mit sehr schweren körperlichen Komplikationen, die zunächst behandelt oder abgeklärt werden müssen. Es gibt Fälle, in denen die häusliche Situation so schwierig ist, dass ein Abstand sinnvoll ist. Auch Patienten mit einem hohen Aggressionspotenzial oder sehr wenig Selbstkontrolle sind besser in der Klinik aufgehoben.
Suizidalität ist aber kein Ausschlusskriterium. Unsere Patienten sollen über Suizidgedanken sprechen können, ohne Angst zu haben, eingewiesen zu werden. Wir schließen einen individuellen Behandlungsvertrag mit ihnen und begleiten sie mit ihren Suizidgedanken, so lange es geht.
Was ist der Unterschied zwischen der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung (StäB) und Ihrem Angebot?
Bei StäB muss es auf jeden Fall einen täglichen Kontakt mit Mitarbeitern der Klinik geben. Wir gestalten das nach der akuten Phase individueller. Dann sehen wir die Patienten manchmal nur alle zwei Tage.
Das kommt auch den Wünschen der Patienten entgegen. Zudem haben wir weniger Dokumentationspflichten und mehr ärztliche und psychotherapeutische Leistungen. Aber auch bei uns werden wir StäB ab Herbst zusätzlich anbieten.
Waren Sie Vorbild für StäB?
Wir haben den Boden für die Idee bereitet, weil wir hier quasi die Pioniere waren. Aber wir hatten jahrelang praktisch keine Nachahmer, weil die gesetzliche Grundlage fehlte und die konkrete Umsetzung in der Vergangenheit so schwierig war.
Viele Kliniken sind davor zurückgeschreckt, in jahrelange Verhandlungen mit den Kassen zu gehen. Insofern ist StäB ein ganz großer Sprung nach vorn. Dadurch wird eine ambulante, häusliche Akutbehandlung flächendeckend möglich.