Kommentar zur Corona-Impfstrategie
Bundestag verpasst die ganz klare Kante
Kleinteilig und nur selten mit Perspektive: Die Auseinandersetzung im Parlament über die Strategie von Jens Spahn bei der Impfstoffbeschaffung kam nicht richtig vom Fleck.
Veröffentlicht:Eines hat die Debatte im Bundestag über die Impfstoffbeschaffung auf jeden Fall klar gemacht: Impfstoffe zu entwickeln, herzustellen, zu verteilen und zu applizieren ist eine komplexe Angelegenheit. Zu komplex, um darüber mit den bekannten, oft vereinfachenden politischen Floskeln zu diskutieren.
Insofern bleibt festzuhalten, dass die Diskussion im Anschluss an die Regierungserklärung von Gesundheitsminister Jens Spahn keine sogenannte Sternstunde des Parlaments war. Diskutiert wurde vor allem darüber, ob das Glas der Hoffnung nun eher halbleer oder halbvoll sei.
Auf den Punkt gebracht hat den Ablauf der Abgeordnete und Ärztefunktionär Rudolf Henke (CDU). Er stellte fest, dass nicht allen an einer sachlichen Bestandsaufnahme gelegen sei, aus der sich Perspektive entwickeln lasse. Vielmehr koche jeder wie gehabt sein eigenes parteipolitisches Süppchen.
Immerhin. Eine Mehrheit der Rednerinnen und Redner aus Union, SPD und Grünen hat sich mehr oder weniger überzeugt hinter dem Minister und seiner Strategie aufgestellt, die Impfstoffbeschaffung über die Europäische Union und nicht als nationalen Alleingang laufen zu lassen. Die Diskussion über eine Strategie des „Deutschland zuerst“ erübrigt sich ohnehin. Die Vorstellung von einem national durchgeimpften Deutschland in einem unter der Pandemie ächzenden Europa ist sowieso lächerlich. Die gegenseitige Abhängigkeit der europäischen, ja der globalen Ökonomien lässt dies nicht zu. Vorwürfe, die Regierung und der Gesundheitsminister hätten damit gegen deutsche Interessen gehandelt, laufen ins Leere.
Ob Spahn nun bis in die letzte Verästelung seines Vorgehens bei der Impfstoffbeschaffung richtig lag und liegt, ist für Außenstehende kaum zu ermessen. Eine Tatsache sticht aber ins Auge. Er hat mit die Weichen dafür gestellt, dass bereits elf Monate nach der Ankunft des Virus in Deutschland mit den ersten Impfungen begonnen werden konnte.
Dafür hat er die üblichen Aufgabenfelder eines Gesundheitsministers sogar überschritten. Als Beispiel soll die frühe Abnahmezusage Deutschlands an den Impfstoffhersteller BioNTech genügen, die es der EU-Kommission erst ermöglicht hat, Verträge abzuschließen.
Tatsache ist auch, dass der Koalitionspartner SPD, der aus den Ruckeleien in der anlaufenden Impfkampagne offenbar Honig saugen will, bei allen Entscheidungen immer mit am Tisch saß. Sei es im Kabinett, im Coronakabinett oder auch im Gesundheitsausschuss, dessen Sitzungen der Minister, wie der Ausschussvorsitzende am Mittwoch im Bundestag festgestellt hat, im vergangenem und in diesem Jahr kein einziges Mal versäumt hat. Gelegenheit zum Austausch hat es also zu jeder Phase der Pandemie gegeben.
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