Einst COVID-19-Hotspot

Das „Corona-Wunder“ von Madrid

800 COVID-19-Fälle je 100.000 Einwohner: Vor wenigen Wochen war Madrid eines der Corona-Zentren Europas. Nun gehen die Infektionszahlen zurück – trotz gelockerter Einschränkungen. Eine Analyse, wie das gelungen ist.

Manuel MeyerVon Manuel Meyer Veröffentlicht:
Restaurantbesuch kein Problem. Madrid hat anders als andere Regionen in der zweiten Pandemiewelle das öffentliche Leben kaum eingeschränkt.

Restaurantbesuch kein Problem. Madrid hat anders als andere Regionen in der zweiten Pandemiewelle das öffentliche Leben kaum eingeschränkt.

© Burak Akbulut/picture alliance/AA

Madrid. Während in weiten Teilen Spaniens Theater, Kinos und Gastronomie geschlossen sind, geht das Leben in der Hauptstadtregion trotz der zweiten Corona-Welle relativ normal weiter.

Zwar mussten auch in Madrid Kultureinrichtungen, Restaurants und Bars ihre Foren verkleinern. Dennoch ist es derzeit fast schwierig, auf den Terrassen der Straßencafés und Restaurants noch einen Platz zu bekommen. Kunstinteressierte stehen vor dem Prado-Museum Schlange, in der Madrider Oper hebt sich jeden Abend der Vorhang für Antonín Dvoráks „Rusalka“.

Im beliebten Retiro-Stadtpark genießen täglich Tausende die warme Herbstsonne. Selbst die Fitness-Studios sind geöffnet. Erst um Mitternacht beginnt in Madrid die Sperrstunde, während die Menschen in anderen Regionen wie Katalonien oder Andalusien bereits ab 22 Uhr nur noch mit einem triftigen Grund das Haus verlassen dürfen.

Infektionszahlen mehr als halbiert

Die lockeren Corona-Einschränkungen in der Hauptstadtregion verwundern. Immerhin war Madrid Ende September mit einer 14-Tage-Inzidenz von über 800 Fällen pro 100.000 Einwohner wie bereits in der ersten Welle im Frühsommer erneut Spaniens und Europas Corona-Hotspot schlechthin.

Das Überraschende: Trotz der im Vergleich zu anderen Regionen laxeren COVID-Maßnahmen konnte Madrid die Neuinfektionsrate innerhalb weniger Wochen auf aktuell 286 Fälle mehr als halbieren. Nur die Balearen und die Kanarischen Inseln verzeichnen noch bessere Werte. Die spanische Presse spricht bereits vom Madrider „Corona-Wunder“.

Ein „Wunder von Madrid“ gebe es nicht, stellt der spanische Präventivmediziner Lluis Serra Majem im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ klar. Die Stadt wurde von der ersten Welle besonders hart getroffen und schätzungsweise 30 Prozent der Bevölkerung seien bereits immun. Andererseits würden sich durch die schlimmen Erfahrungen im Frühsommer viele Bewohner der Hauptstadtregion noch verantwortungsvoller als in anderen Regionen verhalten.

Dennoch habe sich der Corona-Sonderweg der Hauptstadtregion teilweise aber auch als sehr erfolgreich herausgestellt: „So hat Madrid nicht wie andere spanische Regionen das gesamte Gebiet nach außen hin abgesperrt und heruntergefahren, sondern selektive Ausgangs- und Aktivitätsbeschränkungen in besonders stark betroffenen Zonen auferlegt“, meint Serra Majem.

Das ergebe Sinn, erklärt der spanische Gesundheitsexperte, da die Mobilität der Menschen innerhalb von Regionen oder in Großstädten wie Barcelona, Valencia oder Málaga, die sich nur nach außen hin abriegeln, gleich hoch bleibe. „In Madrid aber nahm die Mobilität ab, da selbst die Bewegungsfreiheit innerhalb von einzelnen Stadtvierteln bei hohen Fallzahlen eingeschränkt wurde“, so Serra Majem. Dabei wurden die Stadtviertel nochmals unterteilt. Sprich, epidemiologisch richtete man sich nach den Gesundbezirken innerhalb der Stadtviertel.

Wichtiger Faktor: Der Einsatz von Antigen-Schnelltests

„Und in den besonders betroffenen Zonen wurden massenhaft Antigen-Schnelltests durchgeführt“, hebt Amós García Rojas den zweiten Faktor für den Madrider Erfolg hervor. Diese seien zwar bei Infizierten ohne Symptome nicht so sensitiv und zuverlässig wie die PCR-Tests. „Doch ein Großteil möglicher Neuinfektionen kann mit ihnen schneller, einfacher und günstiger als mit PCR-Tests nachgewiesen werden, wodurch betroffene Personen auch schneller isoliert werden können“, so der Vorsitzende der spanischen Impfvereinigung zur „Ärzte Zeitung“.

In der Regel liefern die Schnelltests bereits nach 15 bis 30 Minuten ein Ergebnis. Experten stimmen darin überein, dass diese Antigentests ein Grund für das Madrider „Corona-Wunder“ sein könnten. Bereits Ende September kaufte die Madrider Regionalregierung fünf Millionen dieser Tests ein, mit denen Test-Offensiven in Problemvierteln gestartet wurden.

Bis Weihnachten will die Hauptstadtregion sogar alle 6,6 Millionen Einwohner mit den Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV-2 testen. Diese Tests sollen vor allem in den Apotheken vorgenommen werden, um die Krankenhäuser und Gesundheitszentren zu entlasten. Zunächst müssen dafür aber noch die Rahmenbedingungen mit der spanischen Zentralregierung geklärt werden, die dem Plan noch skeptisch gegenübersteht.

Tests sollten EU-weit in Apotheken zugelassen werden

Madrids konservative Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso stellte deshalb bereits vergangene Woche bei der EU-Kommission den Antrag, dass in der gesamten Europäischen Union Antigen-Tests in Apotheken zugelassen werden. Sie verwies dabei auf Twitter, auch in Frankreich, Großbritannien und Portugal würden solche Tests in Apotheken bereits möglich sein.

Zur weiteren Eindämmung der Corona-Pandemie will Ayuso die gesamte Region mit Blick auf die Anfang Dezember ausstehenden Feier- und Brückentage komplett vom 4. bis 14. Dezember abriegeln. Madrid mache seine Hausaufgaben, sagt Ayuso gerne.

Unterdessen meinen Experten, die Erfolgszahlen in der Hauptstadt müssten aber auch mit Vorsicht genossen werden, da in den vergangenen Wochen die PCR-Tests auf etwa ein Drittel heruntergefahren und durch Antigentests ersetzt wurden. Dadurch könnten viele Infizierte unentdeckt bleiben.

Mehr noch: „Die getesteten Personen fühlen sich sicherer, agieren unvorsichtiger und verbreiten das Virus, ohne es zu wissen“, gibt auch Amós García Rojas zu bedenken.

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