„Babylon-Berlin“ unter medizinischem Fokus

Der Kommissar und das ominöse Zittern

Immer wieder wird Volker Bruch alias Kommissar Rath in der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ von unkontrollierbaren Zuckungen heimgesucht. Ein medizingeschichtlicher Erklärungsversuch.

Von Katrin Berkenkopf Veröffentlicht:
Liv Lisa Fries und Volker Bruch auf dem Roten Teppich bei der Preview von „1929 - Das Jahr Babylon“ im ehemaligen Stummfilmkino Delphi in Berlin im Herbst 2018. Die Produktion ist die teuerste deutsche TV-Serie.

Liv Lisa Fries und Volker Bruch auf dem Roten Teppich bei der Preview von „1929 - Das Jahr Babylon“ im ehemaligen Stummfilmkino Delphi in Berlin im Herbst 2018. Die Produktion ist die teuerste deutsche TV-Serie.

© D. Pagels/picture alliance/SULUPRESS.DE

DÜSSELDORF. Die Hauptfigur ist Kommissar und ein sogenannter „Kriegszitterer“, der sein Leiden mit dem gerade erst verbotenen Heroin in den Griff zu bekommen versucht. Seine Assistentin lebt in ganz ärmlichen Verhältnissen, unter denen insbesondere die Kinder körperlich und seelisch leiden. „Babylon Berlin“, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete und bislang teuerste deutsche Serienproduktion, ist mehr als ein Krimi aus dem Berlin der Zwischenkriegszeit. Sie ist auch ein Porträt der Stadtgesellschaft im Jahr 1929 und ihrer medizinischen Phänomene.

In der Anfangssequenz von „Babylon Berlin“ sitzt Kommissar Gereon Rath bei einem Psychiater, der ihn mit Hilfe der Suggestions-Therapie in den Ersten Weltkrieg zurückführt. Seit Rath dort kämpfen musste, leidet er am sogenannten Kriegszittern. Die Betroffenen werden von unkontrollierbaren Zuckungen des ganzen Körpers gebeutelt, manche können keine Nahrung mehr zu sich nehmen oder entwickeln Angstzustände.

Spätfolgen des Ersten Weltkriegs

Bis heute ist dieses bei den damaligen Soldaten massenhaft verbreitete Phänomen nicht vollständig geklärt, berichtete Professor Heiner Fangerau, Leiter des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Düsseldorf, bei einer öffentlichen Veranstaltung des Instituts zur Darstellung von Medizingeschichte in der Erfolgsserie.

„Krankheitsbilder fallen nicht vom Himmel, sondern haben immer einen kulturtheoretischen Rahmen“, sagte Fangerau. Das Kriegszittern ist in dieser Form nach keinem anderen Krieg beobachtet worden. Andere Kriege brachten andere Formen der posttraumatischen Belastungsstörungen mit sich. Eine Erklärung könnte die einzigartige Intensität des Artilleriebeschusses sein, dem die Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg ausgesetzt waren, erklärte der Historiker Dr. Timo Baumann.

Kaum Hilfe für die „Flattermänner“

Der Umgang mit diesen Menschen, die auch herablassend „Flattermänner“ genannt wurden, war vor allem von Hilflosigkeit geprägt: Das Zittern wurde als weibisch abgetan. Sein Anblick erinnerte die Bevölkerung noch Jahre später an den verlorenen Krieg, und das war unerwünscht. Also wurden die Betroffenen zumeist ignoriert, Hilfe erhielten sie kaum.

Dabei gab es Therapien. Neben schmerzhaften Elektroschocks, bei denen der Hintergedanke vor allem war, mögliche Simulanten abzuschrecken, war das vor allem die Suggestionstherapie. Ein bekannter Experte war der Hamburger Neurologe Max Nonne, sagte die Kulturhistorikerin Dr. Chantal Marazia. Nonne brüstete sich mit Erfolgsquoten von bis zu 100 Prozent.

Über eine seiner „Blitzheilungen“ ließ er einen (Stumm-)Film drehen. Der unkontrolliert zitternde Patient beruhigt sich darin nach kurzer Berührung und Ansprache des Arztes. Zur Unterstreichung seiner Position erscheint Nonne im weißen Kittel, der Patient dagegen ist fast nackt, obwohl dies medizinisch völlig unnötig war.

Eine sehr ähnliche Szene gibt es in „Babylon Berlin“ als Teil einer Vorlesung. 1929 waren Hypnose und Suggestionstherapie aber schon längst wieder in Verruf geraten, so Marazia, vor allem durch Laien-Hypnotiseure, die durch das Land tingelten und Unheil anrichteten.

Einen weiteren Aspekt der medizinischen Herausforderungen in der Zwischenkriegszeit nahm die Kinderärztin und Medizinhistorikerin Dr. Anne Oommen-Halbach zum Thema: die Armut großer Teile der Bevölkerung gerade in der Großstadt und ihre Folgen insbesondere für die Gesundheit der Kinder.

Im Film lebt die inoffizielle Assistentin Raths Charlotte Ritter mit vier Generationen in zwei Zimmern. Sie sorgt sich insbesondere um ihre jüngere Schwester, die unter Druck steht, statt zur Schule zu gehen lieber zum Lebensunterhalt beizutragen.

Kleinwuchs und Rachitis

Kinderarbeit war in der Weimarer Republik zwar verboten, aber dennoch weit verbreitet. Das führte immer wieder zu Verletzungen bei den Kindern. Aber auch die Wohnverhältnisse und der Mangel an Essen forderten ihren Preis: Die Infektanfälligkeit war hoch, Kleinwuchs weit verbreitet.

Bis zu 50 Prozent der Kinder litten an Rachitis, so Medizinhistorikerin Oommen-Halbach. Wer Glück hatte, erhielt Bestrahlungen in einem der „Höhensonnen-Institute“, die damals entstanden.

Die Serie „Babylon Berlin“

 Die dritte Staffel von „Babylon Berlin“ wird noch bis Anfang Mai 2019 produziert.

 Die 12 neuen Episoden sollen Ende 2019 auf Sky und im Herbst 2020 in der ARD laufen.

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