Wirkstoff-Wechselwirkungen

Antiretrovirale Therapie bei HIV: Auf diese Arzneimittelinteraktionen sollten Sie achten

Zwar haben moderne antiretrovirale Therapien ein geringeres Risiko für Arzneimittelinteraktionen. Dennoch gibt es einige Medikamente, bei denen man Vorsicht walten lassen sollte. Auch tun sich neue ART am Horizont auf.

Dr. Miriam SonnetVon Dr. Miriam Sonnet Veröffentlicht:
Moderne antiretrovirale Medikamente wie diese haben wenig Risiko für Arznei-Wechselwirkungen. Trotzdem lohnt es sich, bei manchen Situationen genauer hinzuschauen.

Moderne antiretrovirale Medikamente wie diese haben wenig Risiko für Arznei-Wechselwirkungen. Trotzdem lohnt es sich, bei manchen Situationen genauer hinzuschauen.

© gamjai / stock.adobe.com

Kigali. Menschen, die mit HIV leben (PLWH) werden immer älter. Dementsprechend entwickeln sie vermehrt Komorbiditäten und nehmen verschiedene Medikamente ein, erläuterte Professor Catia Marzolini, Universitätsklinikum Lausanne, bei der diesjährigen Jahresversammlung der internationalen Aids-Gesellschaft IAS in Kigali. Damit steige auch das Risiko von Arzneimittelinteraktionen mit der antiretroviralen Therapie (ART).

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Alle Integrase-Inhibitoren binden an divalente Kationen wie Magnesium, Kalzium oder Eisen, die oft in Antazida oder Supplementen enthalten sind. Diese Interaktionen sind aber laut der Referentin relativ einfach zu managen, indem man die Medikamente/Supplemente zeitverzögert einnimmt. In den meisten Fällen wird empfohlen, Integrase-Inhibitoren 2-4 Stunden vorher oder 4-6 Stunden danach zu nehmen. Eine Übersicht über diese und weitere Interaktionen bietet die University of Liverpool auf der Website HIV-Drug Interactions. Auch Interaktionen mit Heilkräutern seien möglich, die häufig von PLWH verwendet werden.

Dosisanpassung von Metformin erwägen

Zur Vorsicht riet Marzolini bei Metformin, das durch renale Transporter aktiv in den Urin exkretiert wird. „Diese wiederum werden durch Bictegravir und Dolutegravir inhibiert“, erläuterte sie. Das erhöhe die Metformin-Exposition. Eine Metformin-induzierte Laktatazidose sei ein eher seltenes Phänomen, allerdings erhöhe sich das Risiko bei einer eingeschränkten Nierenfunktion und hohen Metformindosen von mehr als 2 Gramm/Tag.

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Wird Bictegravir eingesetzt, müsse man die Dosierung von Metformin bei normaler Nierenfunktion nicht anpassen; bei eingeschränkter Nierenfunktion sei das in Betracht zu ziehen. Wird mit Dolutegravir begonnen oder endet die Therapie, sollte man eine Dosisanpassung von Metformin ebenfalls erwägen; hohe Dosen von Metformin sind zu vermeiden, mit einer Maximaldosis von 1 Gramm/Tag. Allerdings könne das zu subtherapeutischen Konzentrationen bei adipösen PLWH unter Dolutegravir führen.

Vorsicht bei moderaten und starken Induktoren

Problematisch seien Interaktionen zwischen ART und Induktoren wie Rifampicin und Rifabutin. Interaktionen mit dem starken Induktor Rifampicin könne man nicht managen, weshalb eine Ko-Administration für die meisten Medikamente, darunter Doravirin, Rilpivirin, Bictegravir, Lenacapavir, Forstemsavir und Cabotegravir, nicht empfohlen wird – mit Ausnahme von Dolutegravir und Raltegravir durch Verdopplung von deren Dosis.

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Marzolini wies allerdings darauf hin, dass starke Induktoren mindestens zwei Tage nach Initiierung einer Lenacapavir-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gegeben werden können. Benötigt werden hier zusätzliche orale und injizierte Dosierungen von Lenacapavir – 927 mg s.c. plus 600 mg oral und am Folgetag erneut 600 mg oral – um Interaktionen zu managen. Diese zusätzlichen Dosierungen müssen alle sechs Monate wiederholt werden, wenn der starke Induktor mehr als sechs Monate ko-administriert wird.

Die Interaktion mit einem moderaten Induktor wir Rifabutin könne man für Doravirin und Rilpivirin abmildern, indem man die doppelte Dosierung der HIV-Medikamente einsetzt. Nicht angewandt werden sollte Rifabutin allerdings zusammen mit Bictegravir, langwirksamen Cabotegravir/ Rilpivirin (CAB/PRV) und Lenacapavir.

Moderate Induktoren können jederzeit nach einer PrEP mit Lenacapavir initiiert werden, allerdings ist eine zusätzliche Lenacapavir-Dosis von 463,5 mg s.c. erforderlich. Und auch hier gilt: Diese muss alle sechs Monate wiederholt werden, wenn die Therapie mit dem moderaten Induktor länger als sechs Monate erfolgt.

Dosierungsempfehlungen für Personen, die bereits starke oder moderate Induktoren erhalten und dann Lenacapavir initiieren, existieren bisher nicht.

Aktuelle Zahlen zu HIV und ART

Rund 40,8 Millionen Menschen leben weltweit mit HIV, berichtete Dr. Muhayimpundu Ribakare von der Weltgesundheitsorganisation WHO. In 2024 kam es zu 1,3 Millionen Neuinfektionen.

Die Abdeckung durch eine antiretrovirale Therapie beträgt 77 Prozent weltweit. Die gute Nachricht: Seit 2010 hätten sich Neuinfektionen um 40 Prozent und Aids-bezogene Todesfälle um 54 Prozent reduziert, hob Ribakare hervor.

Und in Deutschland? Dem Robert Koch-Institut wurden im Jahr 2024 (bis 1. April 2025) 3.259 gesicherte HIV-Neudiagnosen gemeldet. Die Zahl ist mit dem Vorjahr vergleichbar (3.332 Meldungen).

Vereinfachte Regime am Horizont

Die derzeitigen ART hätten neben möglichen Arzneimittelinteraktionen weitere Limitationen, berichtete Professor Rajesh Gandhi, Massachusetts General Hospital, Boston. So komme es unter der Behandlung teilweise zu einer Gewichtszunahme; außerdem stelle die tägliche orale Einnahme für manche Betroffene ein Hindernis dar, ebenso gibt es Bedenken aufgrund von Resistenzen.

In der Pipeline stehen unter anderem vereinfachte tägliche Regime, die weniger Substanzen umfassen. Als Beispiel nannte Gandhi Doravirin/Islatravir. Bei letzterem handelt es sich um einen neuartigen nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Translokations-Inhibitor (NRTTI). Die Zulassung als Switch-Indikation – das heißt einem Wechsel von einer bestehenden HIV-Therapie zu Doravirin/Islatravir – wurde bei der FDA bereits beantragt, im April 2026 wird eine Entscheidung erwartet. Auch läuft bereits eine Phase-III-Studie zum Vergleich Doravirin/Islatravir versus Bictegravir (BIC), Emtricitabin (FTC) und Tenofoviralafenamid (TAF) in der Initialtherapie.

Forschende untersuchen zudem die wöchentliche Dosierung von unter anderem Islatravir/Lenacapavir, die in einer Phase-II-Studie erfolgreich geprüft wurde (ID Week 2024; Abstract 577). Bei Switch von BIC/FTC/TAF auf das Regime konnte die HIV-Suppression zu Woche 48 bei mehr als 90 Prozent der Teilnehmenden erhalten werden, was dem Ergebnis mit kontinuierlicher BIC/FTC/TAF-Therapie entsprach. Unterschiede in Lymphozyten- oder CD4-Zellzahlen gab es nicht. Die beiden Wirkstoffe werden nun, gegeben in einer Tablette, in einer Phase-III-Studie geprüft.

Neue Substanzen auf dem Prüfstand

MK-8527, ein NRTTI, ist ein Beispiel für ein länger wirksames Medikament zur monatlichen oralen PrEP. In einer Phase-II-Studie erwies sich die Substanz als ebenso sicher wie Placebo (IAS 2025; OAS0106LB), die Phase-III-Studie EXPrESSIVE soll bald starten und sucht aktuell nach Teilnehmern.

Cabotegravir als intramuskuläre Injektion alle vier Monate im Sinne eines Ultra-long acting (ULA) Integrase-Inhibitors ist ebenfalls Gegenstand von Studien. Die Ergebnisse der EXTEND 4 M-Studie zur PrEP werden im Herbst 2026 erwartet. Eine Therapiestudie mit Cabotegravir ULA plus Rilpivirin ist bereits in Planung.

Die beiden neuen langwirksamen Substanzen VH-499 – ein Capsid-Inhibitor – und VH-184, ein Intergrase-Inhibitor der dritten Generation, könnten das Medikamenten-Spektrum zusätzlich erweitern. Weitere Wirkstoffe mit Potenzial umfassen breit neutralisierende Antikörper wie Teropavimab und Zinlirvimab.

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