Rettungskräfte

Deutsche Helfer proben Erdbebeneinsatz

In der Nähe von Genf haben Retter aus Deutschland für den Notfall trainiert. Um möglichst nahe an der Realität zu sein, waren auch Störer dabei.

Von Christiane Oelrich Veröffentlicht:

GENF. Hier ein eingestürztes Hotel, dort ein Trümmerhaufen, aus dem Verschüttete rufen. Herumirrende Menschen, blutende Opfer – die deutschen Katastrophenhelfer bewahren trotzdem erst einmal Ruhe. Suchhund Cash hat eine Fährte aufgenommen und schlägt kurz darauf auf dem Trümmerhaufen an. Er hat einen Überlebenden gewittert. "Ist da jemand?", ruft ein Helfer erst auf Englisch, dann Französisch in den Trümmerspalt. Endlich. Eine Antwort. Er fragt weiter: "Sind Sie allein? Sind Sie verletzt?"

Der vermeintlich Verschüttete läuft Stunden später fröhlich und unversehrt über den Platz und wischt sich das aufgeschminkte Blut vom Gesicht. Zwei Schweizer Soldaten, die die Helfer eben noch als traumatisierte Überlebende störten und aus dem Konzept zu bringen versuchten, grillen Käse über einem Lagerfeuer. Auf dem Armeegelände bei Genf findet eine Erdbebenübung statt. Die Republik "Jureneva", die die Nothelfer angefordert hat, gibt es nicht, das Erdbeben der Stärke 7,5 mit mehr als 1000 Toten ist Fiktion.

Hilfe für Jureneva

Der Zweck: Die Nothelfer demonstrieren, was sie im Ernstfall leisten können. In "Jureneva" passiert das unter dem prüfenden Blick von UN-Experten. Nur mit UN-Gütesiegel kommen die Helfer bei Katastrophen zum Einsatz. Das Technische Hilfswerk (THW) und die Organisation ISAR aus Duisburg bestehen den Test Anfang Mai mit Bravour.

Die freiwilligen Nothelfer sind Profis. Sie haben ihre Fähigkeiten bei vielen Katastrophen unter Beweis gestellt. Sie retteten Menschen nach Erdbeben in Haiti, Pakistan und Japan. Auch bei der Katastrophe 2015 in Nepal waren sie im Einsatz. Trotzdem: Nur mit ständigem Training sitzt im Ernstfall jeder Handgriff. Der Gründer von ISAR, Michael Lesmeister (50) aus dem niederrheinischen Kleve, hat bewusst neue Freiwillige ins Übungsdorf mitgebracht, damit sie den Stress von Einsätzen spüren.

"Der Druck ist schon da, aber ganz authentisch ist es nicht: Man weiß ja hier, es kann kein Nachbeben geben", sagt er. Die Soldaten geben sich als Komparsen allerdings redlich Mühe, Stress zu machen. Bei der Ankunft am Militärflugplatz Payerne belagern sie die Helfer und zerren an ihrem Gepäck. Als eine Helferin ihren Rucksack kurz aus den Augen lässt, versucht einer, sich damit aus dem Staub zu machen. Die Teams lernen, wo es noch hakt.

Cash auf Schnüffeltour

"Wer sagt, er habe alles richtig gemacht, hat etwas falsch gemacht", sagt Lesmeister. "Der Schweizer Beton ist aber deutlich härter als die Realität", sagt er. "Solche Bedingungen wie hier habe ich bei echten Einsätzen noch nicht erlebt." Die Nothelfer mussten im eingestürzten Hotel "Casino" Löcher in die Betondecke schneiden, um Verletzte tief unter den Trümmern zu orten und auf engstem Raum zu versorgen. Dann wurden die Komparsen auf Tragen auf das Dach gehievt und abgeseilt. Dafür war eine Truppe die ganze Nacht im Einsatz.

Für das THW sind die Suchhunde Robin und Cash im Einsatz. "Such voran!", ruft Herrchen Johannes Arnoldi (56), und Cash geht auf Schnüffeltour. "Man trainiert die Tiere über den Spieltrieb", sagt der Geistliche aus der Nähe von Trier in Rheinland-Pfalz. Mit Weißwurst hat er den neunjährigen Australian Shepherd zunächst zur Suche nach Menschen animiert. Bei Bellen gab's Belohnung. "Inzwischen weiß er, wenn ich die blaue Uniform anhabe, heißt das: Arbeit."

Auch zu Hause trainieren die beiden mehrmals die Woche. "Mit einem Suchhund geht man ja nie einfach spazieren", sagt er. "Da baut man immer Herausforderungen für das Tier ein." Arnoldi ist seit 22 Jahren dabei, er geht wie alle einem Beruf nach. Nothelfer müssen stets dafür sorgen, dass ihr Pass nicht abgelaufen ist und der Impfschutz für alle erdenklichen Krankheiten stimmt. Wenn der Notruf kommt, müssen sie innerhalb von sechs Stunden abflugbereit sein.

Das gilt auch für Martina Grinnus aus Hamburg. Ihr Arbeitgeber, eine Versicherung, lässt sie im Notfall sofort ziehen. Sie arbeitet im Küchenzelt. Das Zeltlager der 50 Angereisten sieht aus wie in jedem Katastrophengebiet: mit eigenen Duschen, Toiletten und Trinkwasseraufbereitung. Geschlafen wird auf Feldbetten. Zwei Leute vom Nachteinsatz schnarchen am Mittag dort leise vor sich hin. Alle Teams reisen zum Einsatz mit kompletter Selbstversorgung an, einschließlich Rund-um-die-Uhr-Proviant für zehn Tage. Für die, die gerade vom Einsatz zurückkommen, hält Grinnus heiße Suppe bereit. (dpa)

6 Stunden haben die Nothelfer, um sich auf den Abflug vorzubereiten, wenn ein Notruf kommt.

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