Ein Blick in die gesundheitspolitische Glaskugel

Gut anderthalb Jahre vor den Bundestagswahlen 2013 wollten wir von den gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprechern wissen, was noch in dieser Legislaturperiode getan werden sollte. Die Antworten lassen schon erahnen, worüber die politischen Kontrahenten im Wahlkampf streiten werden.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Zusatzbeiträge, Gebührenordnung, Bürgerversicherung - bei den gesundheitspolitischen Projekten geht es auch um Geld, viel Geld.

Zusatzbeiträge, Gebührenordnung, Bürgerversicherung - bei den gesundheitspolitischen Projekten geht es auch um Geld, viel Geld.

© K.-U. Häßler / fotolia.com

BERLIN. Die gesundheitspolitische Agenda der Bundesregierung ist auch in diesem Jahr prall gefüllt. Vorgenommen hat sich Schwarz-Gelb unter anderem, das Transplantationsgesetz neu zu fassen und die Rechte der Patienten in einem Gesetz zu bündeln. Dazu hat sie mit der Pflegereform einen Prozess angestoßen, der bis hart an den Bundestagswahlkampf 2013 reichen wird, wahrscheinlich sogar bis in die nächsten Legislaturperioden hinein.

Projekte, die die niedergelassenen Ärzte und Therapeuten besonders interessieren, sind die im Koalitionsvertrag angekündigte und längst überfällige Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)und das Psychiatrie-Entgeltgesetz.

Neuerungen wie zum Beispiel die Einführung der elektronischen Versichertenkarte bearbeitet die Regierung gemeinsam mit den Krankenkassen. Die Umsetzung des Versorgungsstrukturgesetzes hat sie in die Hände der Selbstverwaltung gelegt.

Wo setzen die Fraktionen im Bundestag ihre Schwerpunkte? Die "Ärzte Zeitung" hat die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher nach den ihrer Meinung nach wichtigsten Projekten in der Gesundheitspolitik für 2012 gefragt.

Die Pflegereform weiter zu führen, sollte nach Ansicht von allen fünf an prominenter Stelle stehen

Die Sprecherin der Grünen, Biggi Bender, übt Kritik am Vorgehen der Regierung in diesen beiden bereits angestoßenen Gesetzgebungsverfahren. "Bei der Pflegereform hofft sie offensichtlich darauf, sich mit ein paar Euro mehr für Demenzkranke über die nächsten Bundestagswahlen retten zu können. Doch selbst diese geringen Leistungsverbesserungen sind nicht ausreichend gegenfinanziert."

Die Finanzierung der Pflegereform, aber auch die Entbürokratisierung der Pflege ist für Professor Karl Lauterbach (SPD) an diesem Punkt wichtig.

Nur Martina Bunge von der Linken nennt beim Namen, wie sie die Pflege künftig finanzieren würde. Nämlich mit der von der Linken entwickelten Variante einer Bürgerversicherung.

Und das macht der "kleine Gesetzgeber"

Die gesundheitspolitische Agenda wird nicht allein von der jeweiligen Regierung bestimmt. Zahlreiche Aufgaben sind auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), das höchste Gremium der Selbstverwaltung, verlagert. Der wird daher oft "kleiner Gesetzgeber" genannt.

Folgende Punkte hat der GBA 2012 auf der Tagesordnung (Auszug):

Bürokratiekosten: Ab 1. September 2012 muss der GBA die mit seinen Beschlüssen zu erwartenden Bürokratiekosten ermitteln.

Bedarfsplanung: Der Ausschuss soll bis Mitte des Jahres eine Richtlinie zur künftigen kleinräumigeren und zielgenaueren Bedarfsplanung vorlegen. Ziel ist es, eine neue Bedarfsplanung ab Januar 2013 anlaufen zu lassen.

Ambulante spezialfachärztliche Versorgung: Der GBA soll bis zum 31. Dezember einen Katalog erarbeiten, der die von dem neuen Versorgungssektor erfassten seltenen beziehungsweise schwer verlaufenden Erkrankungen sowie zusätzliche Leistungen auflistet.

Das Patientenrechtegesetz taucht außer bei Lauterbach in allen Antworten auf

"Wir werden den Spagat schaffen, die Rechte der Patienten zu stärken, ohne das besondere Verhältnis von Arzt und Patient zu belasten," kündigt Jens Spahn (CDU) an.

Es handele sich nur um "die bloße Zusammenfassung" dessen, was ohnehin schon in den Gesetzen stehe beziehungsweise der Urteilspraxis der Gerichte entspreche, zeigt sich Biggi Bender enttäuscht.

Für Martina Bunge ist der Entwurf gar eine "Nullnummer", der den Namen Patientenrechtegesetz nicht verdiene.

Wenig Neues zu Organspende und Novelle der GOÄ

Als einziger spricht Jens Spahn (CDU) die Neuregelung der Organspende an, und zwar an erster Stelle. Nur Heinz Lanfermann (FDP) geht auf die Novelle der Gebührenordnung für Ärzte ein. "Hierbei wollen wir in dieser Wahlperiode so weit wie möglich vorankommen," schreibt er.

Dass das Psychiatrie-Entgeltgesetz, für das ein Referentenentwurf vorliegt, wenig beachtet wird, wundert Biggi Bender: "Die Ablösung der tagesgleichen Pflegesätze in den psychiatrischen Kliniken durch Tagespauschalen wird die Diskussion über die psychiatrische Versorgung auf Jahre hinaus bestimmen", verweist sie auf die nachhaltige Wirkung dieses Gesetzes.

Was sollten die Gesundheitspolitiker sofort angehen?

Jens Spahn sieht die unmittelbare Zukunft in der Weiterentwicklung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes. "Im Rahmen der Novelle des Arzneimittelgesetzes werden wir erste Erfahrungen aus dem AMNOG aufgreifen und das Gesetz im Sinne eines lernenden Systems weiterentwickeln", schreibt Spahn.

Biggi Bender ist die Einzige, die Konsequenzen aus dem jüngsten Skandal um Brustimplantate auf die Agenda setzen würde. Es sei deutlich geworden, dass in Deutschland die Überprüfung von Medizinprodukten völlig unzureichend sei.

Die "nationale Präventionsstrategie", die Gesundheitsminister Daniel Bahr als eines der Leitmotive für die zweite Hälfte der Legislaturperiode angekündigt hat, ist nur für Martina Bunge ein Thema, das keinen Aufschub mehr duldet: "Hier weiter zu warten, bedeutet, besonders bei Einkommensschwächeren, frühzeitige Tode, mehr Kranke und mehr Pflegebedürftige als notwendig hinzunehmen und damit mehr höhere Kosten im Gesundheits- und Pflegesystem.

Wie schätzen die Sprecherinnen und Sprecher die Arbeit und Themen der politischen Konkurrenz ein?

Dass Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen seit dem GKV-Finanzierungsgesetz über die Zusatzbeiträge nur von den gesetzlich Versicherten getragen werden, würden Biggi Bender und Martina Bunge rückgängig machen, wenn sie Gelegenheit dazu hätten.

Zwar spielen die Zusatzbeiträge im Augenblick wegen der günstigen Konjunktur keine Rolle. "Doch das wird sich spätestens 2014 ändern," sieht Bender voraus.

Die Konzepte von Bürgerversicherungen, mit denen die Oppositionsparteien in den Bundestagswahlkampf 2013 gehen werden, bleiben unscharf.

Daniel Bahr bekomme eine Finanzreform bei der Pflege nicht zustande, schreibt Biggi Bender. Die grüne Bürgerversicherung als Alternative spricht sie aber nicht an.

Bürgerversicherung weiter umstritten

Für Karl Lauterbach stellt das Projekt der SPD-Bürgerversicherung alles andere in den Schatten, weswegen er sofort mit deren Umsetzung beginnen würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme.

In den Regierungsfraktionen betrachtet man die Bürgerversicherung, zumal die moderate Version der SPD, mit gemischten Gefühlen. Das könne eine Konkurrenz sein, meint Heinz Lanfermann (FDP). Aber: "Die Austrocknung der privaten Krankenversicherung und die Vereinheitlichung der Gebühren hätten erhebliche Verwerfungen zur Folge."

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Gebühren sind ideologiefrei

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