Eine Chance für Schwester AGnES

AGnES entlastet Ärzte, erntet aber auch häufig Argwohn: Die Debatte um eine Neuordnung der Aufgaben in Gesundheitsberufen läuft nicht ohne Spannungen ab.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Einsatz auf Rügen: Tele-Gesundheitsschwester misst bei Hausbesuch den Blutzucker einer Patientin.

Einsatz auf Rügen: Tele-Gesundheitsschwester misst bei Hausbesuch den Blutzucker einer Patientin.

© Foto: ddp

Die Neuordnung der Aufgabenteilung von Ärzten, Pflegekräften, Therapeuten und weiteren Gesundheitsfachberufen gilt als dringend geboten und ist doch schwer umstritten. Auf dem Hauptstadtkongress greifen Experten das facettenreiche Thema in mehreren Veranstaltungen auf.

Statt des Arztes kommt eine Krankenschwester oder Arzthelferin zum Hausbesuch bei chronisch kranken Patienten. AGnES und VERAH sind schon jetzt im Auftrag von Hausärzten unterwegs, messen Blutdruck, Blutzucker oder überbringen Wiederholungsrezepte. Vor allem in Gebieten mit ärztlicher Unterversorgung wird das Modell bald Schule machen. Der erweiterte Bewertungsausschuss hat dazu im Frühjahr die Weichen gestellt.

Noch ist jedoch unklar, ob der Einsatz der Hausbesuchskräfte im Delegationsverfahren auf unterversorgte Regionen begrenzt bleibt, wie es der Ausschuss beschlossen hat, oder ob er flächendeckend ermöglicht wird. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hätte eine flächendeckende Lösung begrüßt. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe hat diese Forderung kürzlich erhoben. Die KVWL hofft, dass das Bundesgesundheitsministerium im Zuge des noch laufenden Genehmigungsverfahrens zu dem Beschluss eine Nachbesserung fordert. Dann könnten Ärzte autonom entscheiden, ob es für sie und ihre Patienten sinnvoll ist, Leistungen zu delegieren.

Kein Hausbesuch ohne ärztliche Anweisung

Eines hat der Beschluss des Bewertungsausschusses gesichert: Die Hausbesuchskräfte treten nicht ohne ärztliche Weisung in Aktion, egal ob sie Krankenschwestern oder Arzthelferinnen sind. "Delegation statt Substitution" lautet die Position der Ärzteschaft im Gerangel um Kompetenzen zwischen den Gesundheitsberufen, die sich in diesem Fall durchgesetzt hat. Der Deutsche Pflegerat hätte dagegen deutlich mehr Kompetenzen für die Pflegenden bei Hausbesuchen eindeutig begrüßt. Wiederholt forderte er unter anderem, dass Pflegekräfte Pflegemittel selbst verordnen dürfen.

Diese Diskussionen konzentrieren sich bei weitem nicht nur auf die ambulante Versorgung pflegebedürftiger oder chronisch kranker Patienten. Auch die Krankenhäuser rufen nach einer Neuordnung der Arbeitsteilung, die der Pflege etliche bislang ärztliche Aufgaben offiziell und dauerhaft überträgt. Zudem fordern auch die Physiotherapeuten, dass Patienten unter bestimmten Voraussetzungen ohne ärztliche Verordnung zu einer Behandlung zulasten der Krankenkassen direkt zu ihnen kommen können. Damit soll zum Beispiel nach einem Schlaganfall eine schnelle physiotherapeutische Behandlung gewährleistet werden.

Jenseits des Streits um Delegation und Substitution deutet sich nun ein dritter Weg an. Konsultation hieß das Stichwort bei der Fachberufekonferenz, zu der die Bundesärztekammer im Frühjahr eingeladen hatte.

Dabei erscheint es vorstellbar, dass Ärzte, Pflegekräfte und Physiotherapeuten die Diagnostik gemeinsam vornehmen und therapeutische Schritte in den einzelnen Bereichen gemeinsam festlegen.

Vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels spielen diese Diskussionen eine immer größere Rolle. Nicht nur Ärzte werden zunehmend knapp, auch in der Pflege bleibt der qualifizierte Nachwuchs aus. Dafür machen die betroffenen Berufsgruppen unter anderem die mangelnde Attraktivität ihrer Berufe verantwortlich.

Ein Neuzuschnitt der Aufgabenteilung könnte den Beruf wieder attraktiver machen und so dem Fachkräftemangel entgegenwirken, lautet die Hoffnung. Oft schweift der Blick dann ins Ausland, wo nichtärztliche Gesundheitsfachberufe mehr Kompetenzen haben und Ärzte schönere Arbeitszeiten als in Deutschland. Allerdings sind dort auch die Berufsausbildungen anders, oft akademisch gestaltet. In diese Richtung strebt die Pflege nun auch in Deutschland.

AGnES steht nicht allein auf weiter Flur

"Die Frage nach dem effizienten und effektiven Einsatz unterschiedlicher Berufsgruppen im Gesundheitssystem wird forciert", hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bereits 2007 prognostiziert. Fest steht, dass diese Frage bis heute hochaktuell ist. Nach dem Inkrafttreten des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes stellt sie sich in neuer Form: Nicht nur AGnES ist durch das Gesetz möglich geworden. Pflegende und Physiotherapeuten haben dadurch auch erweiterten Versorgungsspielraum erhalten.

In Modellversuchen lässt sich nun der Direktzugang erproben. Hat das Gesetz vorerst alle nötigen Voraussetzungen für einen Neuzuschnitt der Berufe und der Aufgabenteilung geschaffen oder fehlen weitere Schritte? Zum aktuellen Stand der Umsetzung diskutieren Experten auf dem Hauptstadtkongress bei mehreren Veranstaltungen.

Neuordnung von Aufgaben und Kompetenzen zwischen Ärzten und nicht-ärztlichen Heilberufen 27. Mai, 16.15  - 18 Uhr, Saal 3

Neue Inhalte für die Gesundheitsberufe IgL, Agnes, Verah & Co 28. Mai, 9.00 - 10.30 Uhr, Dachgarten

Neugliederung der Gesundheitsberufe - Sachstand und Perspektiven 28. Mai, 13.45  - 15.20 Uhr, Saal 4/5

Aktuelle Berichte vom Hauptstadtkongress: Zur Sonderseite Hauptstadtkongress

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