Es gibt keine Zwangsbehandlung gegen den eigenen Willen

Sterben lassen ist keine Sterbehilfe. Auf diese einfache Formel lässt sich das Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall des Münchner Medizinrechtlers Putz bringen. Was so einfach klingt, ist freilich das Ergebnis eines jahrelangen Streits.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Freispruch für Wolfgang Putz (l.) : Der 2. Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden..

Freispruch für Wolfgang Putz (l.) : Der 2. Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden..

© Deck / dpa

Ärzte, die dem Wunsch ihrer Patienten folgen und eine Behandlung abbrechen, sind nun endlich eine große Sorge los: Sie müssen nicht mehr fürchten, durch ihr Verhalten mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Das ist die - für den Praxisalltag -wichtigste Folge des aktuellen BGH-Urteils zum Thema Sterbehilfe.

Die Entscheidung ist hart erkämpft: Jahrelang rannten die zu Betreuern ihrer Mutter bestellten Tochter und Sohn gegen eine Mauer an. Das Pflegeheim wollte den von niemandem bestrittenen Wunsch der Mutter nach einem würdigen Tod nicht akzeptieren. Nach fünf Jahren war endlich ein Kompromiss in Sicht: Zwar will das Pflegepersonal die künstliche Ernährung nicht abschalten, die Tochter aber darf es tun. Sie tut es, will gemeinsam mit ihrem Bruder die Mutter im Sterben begleiten. Doch auf Anordnung des Heimträgers soll am nächsten Tag die Ernährung wieder eingeschaltet werden. Mit dem Mut der Verzweiflung folgt die Tochter dem Rat ihres Anwalts Putz und schneidet den Schlauch der Magensonde durch.

Das Landgericht Fulda teilte das Handeln der Tochter fein säuberlich auf: Das Abstellen der Ernährung sei "passive Sterbehilfe" gewesen - und damit erlaubt. Das Durchschneiden des zur Tatzeit leeren Sonden-Schlauchs dagegen ein "aktives Tun" - und daher strafbar.

Der Bundesgerichtshof hielt von dieser typisch juristischen Unterscheidung nichts. Sie werde der Situation am Ende des Lebens nicht gerecht. Strafrechtlich zu unterscheiden sei vielmehr zwischen einerseits "der auf eine Lebensbeendigung gerichteten Tötung" und andererseits "Verhaltensweisen, die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen mit Einwilligung des Betroffenen seinen Lauf lassen". Ob ohne eingeschaltete Ernährungspumpe oder ohne Schlauch - ein Unterschied besteht so gesehen nicht. Damit schuf der BGH das Recht, eine vom Patienten nicht gewollte Behandlung auch aktiv zu verhindern. Wer das tut, macht sich nicht strafbar, sondern verhindert umgekehrt eine strafbare Körperverletzung durch Andere.

Insbesondere Angehörige können darauf zurückgreifen, aber auch Ärzten bringt das Urteil mehr Sicherheit. Frank Erbguth, Leiter der Akutklinik am Klinikum Nürnberg, sprach vor dem BGH von einem "Meilenstein für die Medizin". Und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte nach der Urteilsverkündung: "Der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen muss in allen Lebenslagen beachtet werden. Es gibt keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Menschen. Niemand macht sich strafbar, der dem explizit geäußerten oder dem klar festgestellten mutmaßlichen Willen des Patienten, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, Beachtung schenkt."

Das war nicht immer so. Parallel zu dem individuellen Streit von Tochter und Sohn gegen das Heim ihrer Mutter zog sich eine gesellschaftliche, politische und rechtliche Diskussion. Dabei hatten die Zivilsenate des Bundesgerichtshofs seit 2003 mehrfach den hohen Stellenwert einer Patientenverfügung oder auch eines mündlich erklärten Patientenwillens bekräftigt. Die Strafsenate des BGH freilich waren dem noch nicht einheitlich gefolgt. Bis zuletzt war daher nicht eindeutig geklärt, ob eine Behandlung nach dem Wunsch des Patienten immer abgebrochen werden darf, oder nur bei einer unumkehrbar tödlichen Krankheit. Zudem war unklar, in welchen Fällen ein Behandlungsabbruch gerichtlich genehmigt werden muss.

So bezieht sich der Zweite Strafsenat des BGH ausdrücklich auch auf das 2009 im Juni beschlossene und im September in Kraft getretene Patientenverfügungsgesetz. Dies habe die Streitfragen klar geregelt. Der Zweite Senat sah sich daher an eventuell gegenteilige alte Rechtsprechung nicht mehr gebunden, entschied aber auch für die Zeit vor dem Gesetz: Ein klar geäußerter Patientenwille ist bindend. "Unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung" rechtfertigt er den Abbruch einer lebensverlängernden Behandlung.

Lesen Sie dazu auch: Kommentar: Freispruch für die Menschenwürde Stellungnahmen zum Sterbehilfe-Urteil

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