Experten geißeln Saarland als Zockerparadies

Im Saarland boomen Spielhallen und Automaten. Der Trend beschert Suchttherapeuten immer mehr Arbeit. Vor allem Geldspielautomaten neuen Typs bescheinigen sie ein hohes Suchtpotenzial. Doch Geld für Prävention ist viel zu wenig im Haushalt.

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Zocken, bis der Therapeut kommt: Spiel am Glücksspielautomaten. © epd

Zocken, bis der Therapeut kommt: Spiel am Glücksspielautomaten. © epd

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Von Andreas Kindel

ST. INGBERT. Im Saarland haben Sucht-Experten gefordert, die Präventionsmittel bei Glücksspielsucht zu verdreifachen. In den vergangenen Jahren hat sich das Saarland zur Hochburg der Glücksspieler entwickelt. Jetzt werden langsam die "Kollateralschäden" sichtbar. "Das Saarland gibt derzeit nur etwa 100 000 Euro für die Prävention beim Thema Glücksspielsucht aus", berichtete der Leiter der saarländischen Landesfachstelle Glücksspielsucht, Hartmut Görgen, bei einer Fachtagung des Landesinstituts für Präventives Handeln in St. Ingbert.

Nötig seien aber weitere 200 000 Euro für zusätzliches Personal in den Beratungsstellen und für Fachkräfte, die in den Schulen über die Gefahren des Glücksspiels aufklären. "Kein Land hat die Spielbanken so hochgefahren wie das Saarland", kritisierte Görgen. Inzwischen hat das Eine-Million-Einwohner-Land acht staatliche Spielbanken und mehr als 130 konzessionierte Spielhallen. "Das Saarland hat damit die höchste Dichte an Spielhallen in Deutschland", so Görgen. Wer sein Geld verjubeln wolle, brauche zur nächsten Spielhalle im Saarland inzwischen weniger als vier Minuten.

Der Spielhallen-Boom beschert nun offenbar auch Suchttherapeuten jede Menge Arbeit. "Die expandierenden gewerblichen Spielhallen vergrößern die Zahl der Glücksspiel-Süchtigen", zeigt sich Glücksspiel-Experte Görgen überzeugt. Bundesweit gebe es inzwischen schätzungsweise 100 000 bis 290 000 pathologische Spieler, berichtete der Referatsleiter im saarländischen Arbeits- und Präventionsministerium, Hans-Peter Knaack. Dazu kämen bis zu 340 000 "problematische Spieler mit Sucht-Tendenzen". Die Selbstmord-Rate bei der Spielsüchtigen liege bei 14 Prozent. "Dieser Anteil", so Knaack, "ist genauso hoch wie bei depressiven Menschen".

Besonders im Blick der Sucht-Experten stehen Geldspiel-Automaten. Denn etwa drei Viertel aller pathologischen Spieler sind Automatenspieler. Allein im Saarland stehen mehr als 3000 solcher Geräte - etwa zur Hälfte in Spielhallen und in Gaststätten. Hartmut Görgen präsentierte bei der Tagung dazu den "Multigamer". An dem Automaten könne man zwischen 50 verschiedenen Spielen wählen. Geld werde in Punkte umgerechnet, so dass Verluste nicht mehr direkt in Euro zu erkennen seien. Und ein Spiel dauere teilweise nur noch eine Sekunde. "Dadurch", so hat Görgen nachgerechnet, "sind statt wie bisher maximal 80 Euro pro Stunde Verluste von mehreren hundert Euro möglich". Um Riesen-Verluste zu verhindern, schlägt Görgen vor, die Dauer pro Spiel auf 60 Sekunden zu verlängern.

Ohnehin seien die Spielsüchtigen für die Präventionsarbeit "ein besonders schwieriges Klientel". Man erreiche nur vier Prozent der Süchtigen. Und 60 Prozent würden die Beratung nach dem ersten oder zweiten Gespräch wieder abbrechen.

Bisweilen sind die Berater auch selbst ratlos. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes habe schon vergangenes Jahr das Anbieten privater Spielwetten verboten, klagte Görgen. Trotzdem gebe es immer noch 15 solcher Wettbüros im Saarland. Da musste Ministeriums-Abteilungsleiter Knaack aufklären. Die Büros würden sich rechtlich gegen die geplanten Schließungen wehren. "Die Gerichte haben uns gebeten", so Knaack, "solange von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen".

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