Gesetzesvorschläge im Bundestag

Medizinethiker und Palliativmediziner warnen bei Suizidbeihilfe vor Checklisten-Gesetz

Das Gesetz zur Suizidbeihilfe lässt weiter auf sich warten. Ethikexperten und Juristen warnen den Bundestag jetzt vor einem Irrweg. Entscheidend sei eine bessere Suizidvorbeugung.

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Medizinethikerin Christiane Woopen (hier 2021 in einer Fernsehsendung) drängt darauf, die Suizidprävention zu stärken.

Medizinethikerin Christiane Woopen (hier 2021 in einer Fernsehsendung) drängt darauf, die Suizidprävention zu stärken.

© picture alliance / Eventpress

Bonn. In der Debatte um eine Neuregelung der Suizidhilfe haben Experten den Bundestag vor einem Irrweg gewarnt. Gefragt sei ein klares Signal an die Gesellschaft, dass Suizide kein normaler Ausweg aus schweren körperlichen und psychischen Problemen werden dürften, mahnten der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio, die Medizinethikerin Christiane Woopen und der Palliativmediziner Lukas Radbruch am Montagabend bei einer Podiumsdiskussion im Bonner Münster.

Wenn das Parlament, wie in den drei vorliegenden Gesetzentwürfen vorgesehen, Leitplanken, Beratungspflichten und zeitliche Fristen für einen freiverantwortlichen Suizid festlege, werte es die Selbsttötung - wenn auch ungewollt - zum Normalfall und Standard-Ausweg auf.

Bundestag im „Dilemma“

Der Anlass für die Veranstaltung: Der Bundestag will noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Suizidbeihilfe verabschieden. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Suizidhilfe aufgehoben und zugleich ein weitreichendes Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, unabhängig von Alter oder Krankheit formuliert.

Sowohl Di Fabio als auch Woopen machten deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht das Parlament in ein schweres Dilemma gestürzt habe. „Der Bundestag ist nicht zu beneiden", sagte Di Fabio. Woopen, frühere Chefin des Europäischen Ethikrates, äußerte grundsätzliche Zweifel, ob ein Gesetz, bei dem „Checklisten" mit Beratungspflichten oder zeitlichen Fristen abgehakt werden müssten, überhaupt die richtige Antwort auf so individuelle Notlagen sei. Auch Karlsruhe habe den Bundestag nicht zu einer rechtlichen Regelung gezwungen.

Palliativmedizin stärker unterstützen

Di Fabio bekundete die Sorge, dass der Bundestag mit neuer Bürokratie und neuen Beratungsgremien einen falschen Weg einschlage, um die Autonomie der Menschen zu schützen. Sinnvoll wäre aus seiner Sicht lediglich, zu verhindern, dass aus der Beihilfe zur Selbsttötung ein Geschäftsmodell wird.

Auch Radbruch, der Ärztlicher Direktor für Palliativmedizin am Uniklinikum Bonn ist, mahnte, der Gesetzgeber dürfe nicht bei einer „Art Checkliste" enden, die für einen Suizid abgearbeitet werden müsse. Schwerstkranke Menschen brauchten keine Beratung zum Suizid, sondern intensive Begleitung. Die Palliativmedizin kenne viele Mittel, um Leiden zu verhindern und auch seelische Not aufzufangen.

Ärzte brauchen Gesprächsausbildung

Einig waren sich die Experten, dass Deutschland dringend eine bessere Suizidprävention benötige. Es sei eine gesamtgesellschaftliche und auch kirchliche Aufgabe, etwa Sterbenskranken beizustehen und Menschen aus der Vereinsamung zu holen, sagte der Bonner Hochschulpfarrer Stefan Buchs.

Woopen sprach sich für mehr Therapieplätze, eine bessere Gesprächsausbildung für Ärzte oder bauliche Maßnahmen wie das Sichern von Hochhäusern und Brücken aus. Die Medizinethikerin bezeichnete es als Skandal, dass es in vielen Altenheimen keine palliativmedizinischen Angebote und Hospizdienste gebe. (KNA)

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