Frühe Hilfen

Familienhebammen bangen um Zukunft

Seit 2011 helfen Familienhebammen, Kindesvernachlässigung in vier Berliner Bezirken zu vermeiden. Ab 1. Mai müssen sich die Eltern in schwierigen Lebenssituationen womöglich wieder von ihnen verabschieden.

Von Marco Hübner Veröffentlicht:
Das Ziel der Stiftung "Eine Chance für Kinder" ist vorrangig, die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken.

Das Ziel der Stiftung "Eine Chance für Kinder" ist vorrangig, die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken.

© Stiftung Eine Chance für Kinder

BERLIN. Die dreijährige Versuchsphase des Projekts "Aufsuchende Hilfe für junge Familien durch Familienhebammen" in vier Berliner Stadtbezirken läuft aus. Es ist ungewiss, ob und wie die Arbeit der zwölf Hebammen und der Projektkoordinatoren in den Bezirken nach dem 30. April weiter geht.

Die Bilanz der Stiftung "Eine Chance für Kinder" legt nahe, dass dieser Umstand vor allem Politikern geschuldet ist. "Die Unterstützung durch Verwaltung und Politik ist unzureichend", berichtete die Stiftungsschirmherrin, die frühere Tagesthemen-Moderatorin und ARD-Journalistin Gabi Bauer am Dienstag.

Zwölf speziell fortgebildete Hebammen unterstützen Familien in schwierigen psychosozialen Lebensphasen. Tätig sind sie in den Berliner Bezirken Mitte, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf.

Die Arbeit für das Kindeswohl setze dabei in 45 Prozent der Fälle bereits während der Schwangerschaft der Mutter an. Ziel sei vor allem, die Eltern-Kind-Bindung zu stärken.

Diese könne von den oftmals psychisch erkrankten oder suchtmittelabhängigen Eltern nicht geleistet werden.

Das "System Familie" durchleuchtet

Bei weit mehr als der Hälfte der 254 betreuten Familien ließ sich die Situation für die Kinder verbessern beziehungsweise stabilisieren. Das zeigt die Auswertung des Projektes nach drei Jahren durch Hebammen und Jugendämter.

"Die Gefahr der Vernachlässigung konnte ganz stark minimiert werden", betont Professor Adolf Windorfer, Gründer und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung "Eine Chance für Kinder".

Die Geburtshelferinnen durchleuchten bei ihren Einsätzen diskret das ganze "System Familie", um Gefahrenpotenziale für die Kinder zu erkennen. Nicht zuletzt geht es ihnen dabei auch um die Gesundheitsversorgung ihrer Schützlinge. Oft müssten sie zwischen niedergelassenen Ärzten, Kliniken, Ämtern und den Eltern vermitteln, hieß es.

Grund: Fehlende Gesundheitskompetenz, Scham und Informationsdefizite hielten Eltern häufig von Arztbesuchen ab. Gerade darauf wäre der Nachwuchs allerdings angewiesen. "Kinder brauchen Bezugspersonen, auf die sie sich verlassen können", sagte die Familienhebamme Friederike Saur.

Saur betreute eine mit 19 Jahren zur Mutter gewordene Frau. Bei dieser wurde nach der Geburt eine Borderlinestörung festgestellt und stationär behandelt. Saur sorgte in dieser Zeit dafür, dass das Kind dennoch strukturiert versorgt wurde.

Nach Rückkehr der Mutter aus der Klinik besorgte sie eine Haushaltshilfe, organisierte gemeinsam mit der Mutter eine ambulante Psychotherapie und begleitete sie zum Kinderarzt. Nach 16 Monaten Betreuung ist sie sich nun sicher: "Die Mutter ist viel eigenständiger geworden und kann ihren Weg mit dem Kind allein gehen."

Kreuzberg-Friedrichshain geht voran

Im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain wird das Projekt nach Ende der Pilotphase in die regelhafte Versorgung eingebunden. Die zuständige Projektkoordinatorin Karin Possiel vom Jugendamt im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung": "Wir haben einen Träger gefunden, der die Hebammen fest anstellt."

Ziel sei, künftig nicht nur Einzelfallhilfe anzubieten, sondern auch allgemeine Beratung. Die sollen mittelfristig vier Familienhebammen im Bezirk übernehmen.

Gespräche gibt es auch in anderen Bezirken. Außerhalb Kreuzberg-Friedrichshains würden die Erfahrungen aus dem Modellprojekt weniger entschlossen aufgegriffen, sagt Windorfer.

Das Modell habe gezeigt, dass auf diese Weise Kindesvernachlässigung begegnet werden könne. Er forderte daher, den Einsatz von Familienhebammen in der Hauptstadt flächendeckend umzusetzen.

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