Pandemiebedingte Engpässe

Feinschliff am Triage-Gesetz sorgt für Streit

Ex-Post-Triage bei knappen Ressourcen soll es nicht geben, womöglich aber die Option der Therapiezieländerung: Der Marburger Bund hält das für richtig. Behindertenverbände sprechen von Etikettenschwindel.

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Ein Begriff, viel Streit: Die Debatte über den Umgang mit pandemiebedingten Engpässen auf Intensivstationen wird schärfer.

Ein Begriff, viel Streit: Die Debatte über den Umgang mit pandemiebedingten Engpässen auf Intensivstationen wird schärfer.

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Berlin. Corona hat die Intensivstationen phasenweise an die Belastungsgrenze gebracht. Was aber tun, wenn Behandlungsplätze nicht ausreichen und Mediziner Ressourcen zuteilen müssen? Klinikärzte haben jetzt erneut davor gewarnt, die Ex-Post-Triage in solchen Extremsituationen zu untersagen.

„Den Ausschluss der Ex-Post-Triage halten wir für hochproblematisch“, sagte die Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Dr. Susanne Johna, der Ärzte Zeitung am Mittwoch. Eine Ressourcenverteilung nach Aufnahmezeitpunkt sei weder ethisch begründbar noch medizinisch sinnvoll. Die Hauptversammlung des MB und der Deutsche Ärztetag in Bremen hätten dies zuletzt ebenfalls klar festgehalten.

Johna: Ausschluss würde das Dilemma nur verlagern

Der kategorische Ausschluss der Ex-Post-Triage würde das „ethisch-moralische Dilemma lediglich von den Intensivstationen in oder vor die Notaufnahmen der Kliniken verlagern“, gab die MB-Vorsitzende zu bedenken. Wer in diesem Zusammenhang den Vorwurf erhebe, eine Ex-Post-Triage sei als aktive Handlung oder gar als Tötungsdelikt einzustufen, „verkennt oder ignoriert, dass Ärzte jede Therapie daraufhin reevaluieren müssen, ob der Patient noch davon profitiert. Das ist insbesondere in der Intensivmedizin der Fall – beinahe täglich.“

Johna äußerte sich anlässlich des geplanten Triage-Gesetzes, mit dem die Ampel einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 umsetzen will. Die Karlsruher Richter hatten dem Gesetzgeber aufgetragen, „unverzüglich“ Schutzvorkehrungen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen im Fall einer pandemiebedingten Triage vor Diskriminierung zu schützen.

Ein von Gesundheitsminister Karl Lauterbach vorgelegter Gesetzentwurf, zu dem vergangene Woche eine Verbändeanhörung im Ministerium stattfand, schließt die Ex-Post-Triage – Stand jetzt – aus. Diese sei „ethisch nicht vertretbar“ und „weder Ärzten, Patienten noch Angehörigen zuzumuten“, hatte der SPD-Politiker betont.

Gesetzgeber muss Beschluss aus Karlsruhe einlösen

Laut Entwurf sollen Triage-Entscheidungen nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit eines Patienten erfolgen. Weitere Erkrankungen sollen dann berücksichtigt sein, wenn sie wegen ihrer Schwere die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern. Gebrechlichkeit, Alter, Behinderung, verbleibende Lebenserwartung und die vermeintliche Lebensqualität sollen nicht in die ärztliche Entscheidung einfließen.

Johna betonte, erstes Bestreben müsse sein, „es gar nicht zur Triage kommen zu lassen“. Wenn es aber dazu komme, seien auch alle weiteren schwerwiegenden Erkrankungen oder gar Organversagen zu berücksichtigen, „die die Therapie unwahrscheinlicher erfolgreich machen“.

Die Frage Behinderung ja oder nein spiele für die Triage-Entscheidung genauso wenig eine Rolle wie etwa die Frage des Alters – „es sei denn, die aktuelle kurzfristige Überlebenschance ist dadurch beeinträchtigt“. Viele Behinderungen würden auf die Entscheidung der Triage keinen Einfluss haben.

In Situationen, in denen Ärzte feststellten, dass sie alles in ihrer Macht stehende versucht hätten, die Intensivtherapie aber nicht erfolgreich sei und sich die Krankheitssituation eines Patienten immer weiter verschlechtere, müsse es „die Option einer Therapiezieländerung in Richtung palliativmedizinischer Behandlung geben“, so Johna. „Denn letztlich besteht ohne eine realistische Chance für ein Überleben auch keine Indikation mehr für die Intensivtherapie.“

Runder Tisch Triage: „Übler Taschenspielertrick“

Scharfe Kritik an dieser Haltung formulierten Vertreter des „Runden Tisches Triage“ – eine Plattform der Liga Selbstvertretung, der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie sowie des Forums behinderter Juristinnen und Juristen. Statt von der umstrittenen Ex-Post-Triage solle bei künftigen Regelungen zur Triage nun von „Therapiezieländerung“ die Rede sein, heißt es in einer Pressemitteilung des Bündnisses. Demnach hat BMG-Abteilungsleiter Joachim Becker zugesagt, die Idee beim Feinschliff des Gesetzes zu bedenken.

Die Sprecherin der Liga Selbstvertretung, Dr. Sigrid Arnade, reagierte empört. „Wenn das BMG diesen üblen Taschenspielertrick realisiert, ist ihm die Gunst der Ärzteschaft offensichtlich wichtiger als die Menschenwürde der Betroffenen und die deutsche Verfassung.“ Entsetzt sei sie auch, „mit welcher Vehemenz und Geschichtsvergessenheit“ Ärzte bei der Anhörung dafür gekämpft hätten, „eigenmächtig über Leben und Tod bestimmen zu dürfen und gleichzeitig die Garantie einforderten, niemals strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen“.

„Ich finde es sehr bedenklich, dass die Debatte derart emotional geführt wird“, betonte MB-Chefin Johna. Eine Therapiezieländerung sei etwas, „was unabhängig von Pandemie- oder Überlastungssituationen täglich stattfindet. Wer auch das infrage stellt, stellt Grundprinzipien ärztlichen Handelns infrage.“ Sie befürchte, dass Ärzte durch die Gesetzgebung in eine Entscheidungsunfähigkeit hineingezwungen würden oder in eine Entscheidung, „die nicht ihrem Berufsethos entspricht“.

Dem Vernehmen nach will das Bundeskabinett den Entwurf für ein Triage-Gesetz in der zweiten Augusthälfte auf den Weg bringen. (hom)

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