Kommentar
Gesundheits-Agenda für knappe Kassen
Nach jeder Krise müssen Prioritäten neu sortiert werden. Die verheerende Entwicklung der Steuereinnahmen hat Folgen auch für die Gesundheitspolitik.
Veröffentlicht:Die Steuerschätzung ist in diesem Jahr ein Blick in den Abgrund. Die Zahlen, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz am Donnerstag vorgestellt hat, sind noch schlechter als zu Zeiten der Finanzkrise 2008/09.
Dies wird Konsequenzen für alle Politikfelder haben – die Gesundheitspolitik eingeschlossen. Angetrieben durch eine fast ein Jahrzehnt währende Hochkonjunktur war Geld für Gesundheitspolitiker kein Thema – es war einfach da.
Fast 252 Milliarden Euro gaben die Krankenkassen im Vorjahr aus, 12,5 Milliarde Euro mehr als 2018. Zum Vergleich: Acht Jahre zuvor waren es noch 176 Milliarden Euro.
Noch beeindruckender ist die Entwicklung der Summe aller Löhne und Gehälter, also des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts: Es nahm seit 2010 um satte 350 Milliarden auf zuletzt 1,4 Billionen Euro (2018) zu. Dies war der Treibstoff für die zuletzt fast zwei Dutzend Reformgesetze von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Die Mehrzahl dieser Gesetze geht mit teils erheblichen Mehrausgaben für die GKV einher. Schätzungen taxieren die Bugwelle zusätzlicher reformbedingter Ausgaben bis 2023 auf bis zu 30 Milliarden Euro. Die Mehrkosten der Pflegegesetze sind dabei noch nicht berücksichtigt. Schon in Vor-Corona-Zeiten haben diese Mehrbelastungen für Knatsch gesorgt. Spahn drängte massiv, Finanzpolster der Kassen abzubauen – dieser Wunsch wird jetzt schneller in Erfüllung gehen, als ihm lieb ist.
Krisenzeiten haben stets die Prioritäten der Politik verändert. So wird es auch jetzt sein müssen. Strukturreformen, die bisher – wie etwa bei der sektorenübergreifenden Versorgung – in Kommissionen stillgelegt sind, müssen Teil einer neuen Agenda in der Gesundheitspolitik werden. So gesehen, könnte diese Pandemie ausnahmsweise positive Effekte zeitigen.
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