Drei komplexe Gesetze

Gröhe packte 2013 die Pflegereform an

Nach langem Stillstand soll die große Pflegereform kommen. Mit drei Gesetzen in Folge werden Pflegeleistungen neu definiert, stärker in den Vordergrund rücken kognitive Defizite und das Ziel der sozialen Teilhabe für pflegebedürftige Menschen. Die Pflege wird deutlich teurer und der Fachkräftemangel zum gravierenden Problem.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Hermann Gröhe 2014 beim Deutschen Pflegetag 2014.

Ein komplett neues Leistungsrecht in der Pflege: Hermann Gröhe 2014 beim Deutschen Pflegetag 2014.

© Stephanie Pilick

Bereits 2005 hat die erste Groko unter Angela Merkel die Entwicklung eines neuen Begriffs der Pflegebedürftigkeit ins Programm geschrieben, ein Beirat wurde eingesetzt, der 2009 die Grundlagen für die Reform lieferte – die dann weitgehend einschlief.

Erst ab 2013 griff der neue Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Pläne wieder auf und schmiedete in Folge drei komplexe Gesetze, die das Leistungsrecht der Pflegeversicherung – zumindest auf dem Papier – revolutionierte.

Rücklagen für die Alterung

Das Pflegestärkungsgesetz I trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Fast alle Leistungsbeträge der Pflegeversicherung wurden angehoben. Kurzzeit- und Verhinderungspflege wurden ausgebaut und können seitdem besser miteinander kombiniert werden. Ferner wurde der Anspruch auf niedrigschwellige Betreuungsleistungen in der ambulanten Pflege ausgeweitet. Der Zuschuss für Umbauarbeiten in Wohnungen Pflegebedürftiger wurde je Maßnahme auf 4000 Euro erhöht.

Menschen mit Demenz, die in die Pflegestufe 0 eingruppiert waren, erhielten erstmals die Möglichkeit, auch teilstationäre Tages- und Nachtpflege sowie Kurzzeitpflege zu beanspruchen. Zusätzliche Leistungen wurden für Mitglieder ambulant betreuter Wohngruppen möglich, ferner Zuschüsse für die Neugründung von Wohngruppen.

Mit der Leistungsausweitung verbunden war eine Ausweitung des Finanzrahmens für die Pflegeversicherung: Die Beiträge wurden um 0,3 auf 2,35/2,6 Prozent angehoben. Zwei Drittel der Beitragserhöhung sollten in neue Leistungen fließen, 0,1 Prozent sollten dem neu geschaffenen Pflegefonds zugutekommen, der – allmählich anwachsend – einen Teil der Mehrkosten durch eine steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen abfedern sollte.

3,05 Prozent

beträgt der aktuelle Beitragssatz in der sozialen Pflegeversicherung. Er liegt damit um fast 50 Prozent über dem Beitragssatz beim Amtsantritt von Hermann Gröhe. 0,2 Prozent des Beitragssatzes waren dazu gedacht, eine Liquiditätsreserve aufzubauen.

Die wirklich grundlegende Reform der Pflegeversicherung folgte ein Jahr später mit dem am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Pflegestärkungsgesetz II.

Pflege wird neu definiert

Kernstück des Gesetzes war die Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der nun nicht mehr allein auf das Ausmaß der körperlichen Gebrechlichkeit abstellte, sondern gleichberechtigt auch kognitive Defizite und psychische Störungen als Kriterien für die Pflegebedürftigkeit heranzog. Damit sollte vor allem die Situation pflegebedürftiger Demenzkranker und ihrer Angehörigen besser geholfen werden können.

Zugleich wurden die alten drei Pflegestufen zugunsten von fünf Pflegegraden abgeschafft. Das machte es erforderlich, dass der Medizinische Dienst des GKV-Spitzenverbandes ein komplett neues Begutachtungssystem entwickelte. Um zu vermeiden, dass alle 2,8 Millionen schon gutachterlich anerkannten Pflegebedürftigen erneut ein Begutachtungsverfahren durchlaufen mussten, enthielt das Gesetz Überleitungsvorschriften für die Neueinstufung in einen der fünf Pflegegrade.

Damit sollte auch verhindert werden, dass schon anerkannt Pflegebedürftige durch das neue Gesetz und die differenzierteren Pflegegrade schlechter gestellt werden.

Vor dem Hintergrund des immer komplexer werdenden Leistungsrechts der Pflegeversicherung und der Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Leistungen wurde ab dem 1. Januar 2016 ein individueller Beratungsanspruch für pflegende Angehörige eingeführt.

Verantwortung für Kommunen

Mit der Novellierung wurden auch die Qualitätsprüfungen und Qualitätsberichte reformiert. Neue Strukturen der Pflege-Selbstverwaltung auf der Bundesebene sollten dafür sorgen, dass die Organisationen der Leistungserbringer neue Qualitäts- und Transparenzvorgaben nicht mehr durch ihr Veto blockieren konnten.

Die umstrittenen Pflegenoten – die Praxis hatte dazu geführt, dass auch Einrichtungen mit erheblichen Mängeln gute Noten erhielten – blieben bis Ende 2017 zunächst bestehen und sollten dann durch aussagekräftigere Bewertungssysteme abgelöst werden.

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Den Abschluss des Reformpakets bildete das im September 2016 verabschiedete Pflegestärkungsgesetz III. Es basierte auf Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft und betraf vor allem die Rolle der Kommunen in der Pflege.

Damit wurden zwei Ziele verfolgt: zum einen die bessere Steuerung, Kooperation und Koordination von Beratung und Pflege vor Ort, die Sicherstellung der Versorgung, die Schaffung niedrigschwelliger Angebote und die Pflegeberatung; zum anderen sollten die Hilfen zur Pflege an die bereits mit dem PSG II geschaffene Neudefinition der Pflegebedürftigkeit erweitert werden um die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit kognitiven Defiziten und psychischen Störungen.

Mit dem PSG III wurde schließlich die Grundlage für neue Modelle in Kommunen auf Initiative der Landkreise und kreisfreien Städte geschaffen. Dazu sollten Vereinbarungen mit den Pflegekassen getroffen werden können, auch um Personal und Finanzierung sicherzustellen.

Wer macht die Arbeit in der Pflege?

Und wie sieht die Bilanz dieser Megareform aus? Tatsache ist, dass mehr Menschen – insbesondere Demenzkranke – nun ebenfalls Pflegeleistungen erhalten. Ihre Situation hat sich gebessert. Allein im ersten Jahr nach Inkrafttreten des PSG sind nach Berechnungen des Medizinischen Dienstes rund 200.000 Menschen als pflegebedürftig anerkannt worden, die nach altem Recht keinen Leistungsanspruch gehabt hätten.

Andererseits: Die neuen Leistungsansprüche können nur realisiert werden, wenn ausreichend Personal vorhanden ist, das die notwendige Qualifikation und Motivation mitbringt. Tatsächlich hatte sich die Pflege schon in den Jahren zuvor zum Mangelberuf entwickelt. Die Ursachen dafür sind vielfältig: staatlich zu verantwortende Defizite in der Ausbildung und ihrer Finanzierung, die mangelhafte Berücksichtigung der besonderen Arbeitsbedingungen in der Pflege durch die Tarifpartner, kaum vorhandene gewerkschaftliche Organisation der Pflegeberufe und eine zersplitterte Interessenvertretung der Pflege gegenüber Politik und Gesellschaft.

Die „Nachrüstung“ für die Pflegeberufe sollte in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode stattfinden. Durch eine Ausbildungsreform, systematische Anwerbung von Pflegekräften im Ausland und Stärkung der Berufsvertretung durch Etablierung eines Kammersystems. Eine Herkules-Aufgabe nicht nur der Politik.

Corona hat durch viele Pläne einstweilen einen Strich gemacht – die Defizite der Pflege aber erneut ins Brennglas gerückt.

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