„ÄrzteTag“-Podcast
Primärversorgung als Systemwende? Über Konflikte, Verantwortung und Untätigkeit
Was Radiologie-QR-Codes, Parkverstöße und Haushaltsregeln mit Patientensteuerung zu tun haben – BVKJ-Präsident Dr. Michael Hubmann sortiert vor, in Folge 7 unserer Podcast-Reihe „Kindergarten Gesundheitspolitik“. Und er erklärt, wie er die Fronten zwischen Kollektiv und Selektiv überwinden will.
Veröffentlicht:🎙️Frühmorgens an Christi Himmelfahrt beim 129. Deutschen Ärztetag in Leipzig: Während manche Abgeordnete gerade erst zum Frühstück schreiten, geht BVKJ-Präsident Dr. Michael Hubmann ins Podcast-Gespräch. In der 7. Folge unserer „ÄrzteTag“-Podcast-Reihe „Kindergarten Gesundheitspolitik“ sprechen wir dieses Mail über die Frage, ob die Ärzteschaft bereit ist für ein echtes Primärversorgungsystem, und ob es die Politik und die Versicherten auch sind.
1️⃣ Politik: Abwesend im eigenen Programm
Der Einstieg ist politisch ernüchternd: Das neue „Sofortprogramm“ der CDU/CSU-SPD-Koalition im Bund enthält kein Wort zum Gesundheitswesen. Für Hubmann keine Überraschung, aber doch ein Menetekel: „In der Sache erhöht es natürlich die Notwendigkeit der Geschwindigkeit, wenn man dann mal anfängt.“
Er gibt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken dennoch einen Vorschuss an Vertrauen – „sie bietet Kommunikation an“ –, er weiß aber auch: Die Zeit des Zauderns ist vorbei.
2️⃣ Primärversorgung: Die Stunde der Wahrheit
Der zentrale rote Faden des Gesprächs: Die Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems – und die ärztlich-politische Verantwortung, diese mitzugestalten. Hubmann warnt: „Wenn wir das Angebot der Politik nicht annehmen, brauchen wir damit nicht mehr ankommen.“
Er schildert lebhaft die Kontroversen auf der KBV-Vertreterversammlung – harte Debatten, gegenseitiges Misstrauen zwischen Haus- und Gebietsärzt:innen, verdeckte Machtspiele um Verteilung und Zuständigkeiten. Aber eben auch: erste Annäherungen, gemeinsame Grundlinien – Planken, wie er es nennt.
3️⃣ Verteilungskampf: Geld oder Steuerung?
Es geht um weit mehr als Honorare – auch wenn der „schnöde Mammon“ (Moderator) mitschwingt. Hubmann differenziert: Es sei nicht bloß Gier, sondern ein betriebswirtschaftlicher Imperativ. Kosten müssen refinanzierbar sein – sonst gibt es keine Investitionen, keine neuen MFAs, keine ärztlichen Kolleg:innen. „Ich habe eine gewisse Menge Güter und eine höhere Nachfrage. In der freien Wirtschaft würde der Preis steigen – das fehlt bei uns.“
Der 15–20 % Zielwert zur Reduktion unnötiger Kontakte ist für ihn keine Schikane, sondern ein Systemangebot: Effizienz ohne Substanzverlust – weniger Kontakte, aber fair vergütet.
4️⃣ Orientierung statt Überforderung
Ein weiteres Kernanliegen: Patient:innen brauchen Steuerung – nicht Bevormundung, sondern Orientierung: „Sie brauchen jemanden, der sie in diesem Dschungel führt.“
Dabei spart Hubmann nicht mit Kritik an der gegenwärtigen Praxis: Radiologie-QR-Codes, unverständliche Berichte, fehlende Anschlusskommunikation – alles Symptome eines Systems ohne Führung.
Und: Der Vertrauensvorschuss der Bevölkerung in Haus- und Kinderärzt:innen dürfe nicht durch innerärztliche Eitelkeiten verspielt werden.
5️⃣ No-Shows & Selbstverantwortung
Erstmals deutlich wie nie äußert sich Hubmann zu einem heiklen Thema: Nicht wahrgenommene Termine – No-Shows. Der BVKJ hat eine Umfrage gemacht – das Problem sei real und wachsend: „Wenn Sie eine Vorsorge mit einer Wartezeit von einem halben Jahr haben und die fällt aus, ist das ein Riesenthema.“
Er zieht den Vergleich zur Parkuhr: Wer parkt, muss zahlen. Warum nicht auch im Gesundheitswesen? Klar ist für ihn: Ohne eine gewisse finanzielle Mitverantwortung der Patient:innen wird Patientensteuerung zur Illusion.
6️⃣ Selektiv vs. Kollektiv: Zwei Welten, ein System
Am Beispiel der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) illustriert Hubmann ein strukturelles Ungleichgewicht: „Die HZV ist nicht teurer – das Kollektivsystem ist unfair.“
Er plädiert für ein Nebeneinander – aber mit klaren Rollen: HZV als verbindlicher Rahmen, Kollektivverträge mit fairer Leistungsabbildung. Und: Ein RSA-Bonus für eingeschriebene Versicherte könnte die dringend nötigen Anreize schaffen.
🧩 Fazit: Systemwandel nur gemeinsam
Was das Gespräch durchzieht, ist ein Motiv: Der Wandel darf nicht nur ärztlich geführt und politisch flankiert sein, er muss vor allem gesellschaftlich mitgetragen werden. „Wie bringen wir gemeinsam etwas auf den Weg?“ Ein Appell an Kolleg:innen, Patient:innen und Politik. (Länge: 27:14 Minuten)