HIV-Therapien haben es schwer in der Welt des AMNOG

Gängige Therapien zur Behandlung von HIV-infizierten Menschen haben mittlerweile einen derart hohen Standard erreicht, dass Ärzte nicht mehr mit großen Entwicklungssprüngen rechnen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Sieht das AMNOG in der Anwendung als einen Lernprozess an: GBA-Chef Dr. Rainer Hess.

Sieht das AMNOG in der Anwendung als einen Lernprozess an: GBA-Chef Dr. Rainer Hess.

© dpa

BERLIN. "Mit neuen Substanzen ist bei der HIV-Therapie kein hoher Zusatznutzen zu erreichen", sagte Dr. Christoph Mayr von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft vom Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin.

Die Lebenserwartung HIV-infizierter Menschen unterscheide sich kaum noch von der gesunder, bestätigte Daniel Breitenstein, Geschäftsführer der ViiV Healthcare GmbH. Die Gesellschaft ist ein Ende 2009 gegründetes, ausschließlich auf HIV-Präparate spezialisiertes Joint Venture von Glaxo Smith Kline und Pfizer.

Das Gesicht der HIV-Infektion verändere sich, sagte Dr. Ravi Walli, Medizinischer Direktor der VIIV. Die betroffenen Patienten litten zusehends weniger an klassischen Aids-Symptomen wie Kaposi-Sarkom oder Toxoplasmose. Stattdessen hätten sie mit Herzkreislauferkrankungen, Insuffizienzen von Nieren und Leber oder neuropsychiatrischen Erkrankungen zu kämpfen.

Ärzte warnen daher vor Stillstand in der HIV-Forschung. Ein neues Medikament könne aus der formalen Sicht des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), das seit Anfang des Jahres in Kraft ist, tatsächlich überflüssig sein, sagte Professor Hans-Jürgen Stellbrink vom Infektionsmedizinischen Centrum in Hamburg. Für einzelne Patientengruppen könne das Präparat jedoch unbedingt notwendig sein.

Dem AMNOG bescheinigten die Ärzte blinde Flecken. So deckten die Zulassungsstudien, die der GBA zur Beurteilung eines Zusatznutzens heranzieht, keine repräsentative Auswahl an Patienten ab. Minderjährige, ältere Menschen und Schwangere tauchten in der Regel nicht auf, in den Arztpraxen aber schon, so Stellbrink. Zudem seien Standardtherapien zwar vergleichbar, in ihrer Wirkung auf die Patienten jedoch nicht gleich. Deshalb stehe der Nachweis eines Zusatznutzens ohne Postzulassungsstudien gegenüber einer Vergleichstherapie auf tönernen Füßen.

Das AMNOG sei ein durch Praxis, Übung und Korrektur lernender Prozess, beschwichtigte Dr. Rainer Hess, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschuss. Die Industrie rief Hess dazu auf, kontinuierlich Ergebnisse von Folgestudien einzureichen. Es gebe laut AMNOG die Möglichkeit, den Zusatznutzen jedes Jahr auf den Prüfstand zu stellen.

In Deutschland lebten Ende 2010 etwa 70.000 Menschen mit dem HI-Virus. Pro Jahr infizieren sich etwa 3000 Menschen neu. 550 Infizierte sind 2010 gestorben, nicht nur an den Folgen der Infektion. 22 antiretrovirale Wirkstoffe, die in 26 Medikamenten auftauchen, sind in Deutschland derzeit zugelassen. Experten sehen jedoch weiterhin klaffende medizinische Bedarfslücken vor allen in der Langzeitverträglichkeit und bei der Compliance.

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