Morbi-RSA

Haben Kassen Patienten "kränker" gemacht?

Der Morbi-RSA reizt Kassen, an den Diagnosedaten zu drehen. Nun wird bekannt, dass es zahlreiche statistische Ausreißer bei den Diagnosen gab. Zwar ist nicht jede Auffälligkeit ein Vergehen - doch zumindest hat das BVA Versuche der Manipulation bestätigt.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Das Bundesversicherungsamt nimmt Daten unter die Lupe.

Das Bundesversicherungsamt nimmt Daten unter die Lupe.

© Bromsilber / fotolia

BERLIN. Manipulationsversuche gibt es tatsächlich. So habe eine Kasse Zigtausende von Diagnosen niedergelassener Ärzte aus dem Jahr 2010 "nacherfassen" lassen, meldet das BVA in seinem aktuellen Tätigkeitsbericht. Das Amt habe dieses Vorgehen unterbunden.

Aus dem Jahr 2008 datieren Versuche, falsche Diagnosen aus dem stationären Bereich in die RSA-Datenmeldung einfließen zu lassen.

Die Leistungserbringer reagierten am Dienstag empört: "Es ist ein Zeichen einer erschreckenden Ökonomisierung von kranken Menschen, wenn diese von einigen Kassen mit Rechentricks noch kränker gemacht werden, um so an Gelder aus dem Risikostrukturausgleich zu kommen", warnte KBV-Chef Dr. Andreas Köhler.

Genau diese kranken Menschen müssten andererseits oft gemeinsam mit ihren Ärzten darum kämpfen, wenn sie ihnen zustehende Kassenleistungen in Anspruch nehmen wollten.

Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, erklärte: Gehe es darum, an Geld zu kommen, könnten für die Krankenkassen die Patienten nicht krank genug sein.

Die Prognosen für die erwarteten Ausgaben würden regelmäßig "hochgebockt". Gehe es aber um die Bezahlung der Leistungen, schickten die Kassen statt Geld den Medizinischen Dienst.

Krasser Ausreißer bei Herzinfarkten

Zahlreiche Krankenkassen müssen in den nächsten Tagen dem Bundesversicherungsamt Auffälligkeiten aus dem Jahr 2009 erklären.

So weisen die Datensätze einer Betriebskrankenkasse aus, dass die Herzinfarktrate ihrer Versicherten gegenüber dem Vorjahr um 280 Prozent gestiegen ist (von fünf auf 19). Eine Ersatzkasse meldete ungewöhnliche 30 Prozent mehr Hautgeschwüre.

Sowohl der Herzinfarkt als auch die Geschwüre stehen auf der Liste der 80 Krankheiten, die für den Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich der Kassen untereinander eine Rolle spielen. Patienten mit Krankheiten von dieser Liste können einer Kasse höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds bescheren.

Die auffälligen Werte stammen aus dem Jahr 2009, dem ersten Jahr von Gesundheitsfonds und Morbi-RSA. Um Manipulationen zu begegnen, überprüft das Bundesversicherungsamt alljährlich mehr als fünf Milliarden Datensätze auf Auffälligkeiten. Statistische Ausreißer müssen die Kassen erklären. Die entsprechenden Schreiben wurden Mitte August an die Kassen verschickt.

"Eine statistische Auffälligkeit bedeutet keineswegs, dass etwas nicht stimmt oder gar falsch gemacht wurde", kommentierte der Pressesprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, Pressemeldungen von Dienstag, die Kassen hätten getrickst.

Manipulationen an den Diagnosedaten seien glatter Sozialbetrug, reagierte der Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten (BDI), Dr. Wolfgang Wesiack.

Für den BDI sei das ein Warnzeichen an die Politik, nach der Bundestagswahl korrigierend einzugreifen. Denn offensichtlich verleite das geltende System zu solchen Manipulationen.

"Krankenkassen mit vielen chronisch Kranken sollen mehr Geld für eine gute Versorgung bekommen, das ist das Ziel des Risikostrukturausgleichs", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn.

Völlig inakzeptabel allerdings sei, wenn einzelne Kassen Daten manipulieren oder manipulieren lassen, um mehr Geld zu bekommen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die Spitze des Eisbergs?

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