US-Gesellschaft

Hinterlässt Trumps Wahlsieg tiefe Narben?

Der Wahlsieg Trumps wird für die amerikanische Gesellschaft tiefgreifende Folgen nach sich ziehen. Es geht um nicht weniger als das Vertrauen in eine menschlich funktionierende Gesellschaft, das in den USA nach der Wahl potenziell bedroht ist.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Proteste vor dem Trump Tower: Das Ergebnis der US-Wahl hinterlässt im Alltag Spuren.

Proteste vor dem Trump Tower: Das Ergebnis der US-Wahl hinterlässt im Alltag Spuren.

© Cordon Press / dpa

Die USA nach der Wahl: Soziologen und Gesellschaftspsychologen sehen einen erheblichen Vertrauensverlust. Das Stimmungsbild auf der anderen Seite des Atlantiks sei "vielerorts katastrophal", sagt etwa der Bremer Sozialwissenschaftler Dr. Christian Peters. Er berichtet aus den USA, dass dort seinen lehrenden Kollegen Sprechstunden für die aufgewühlten Studenten eingerichtet haben. "Etliche Studenten an den Universitäten sind durch den Wahlsieg Trumps tief verunsichert und haben offenbar großen Betreuungsbedarf."

Auch der Gesellschaftspsychologe Professor Thomas Kliche von der Universität Magdeburg Stendal sieht, wie das Wahlergebnis auf das Befinden der Einzelnen durchschlägt: "Schon die Forschungen über die Mittelstreckenrüstung und Tschernobyl in den 1980er Jahren haben gezeigt, dass makrosozialer Stress das persönliche Wohlbefinden beeinträchtigt", erklärt Kliche im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Bedrohungen machen uns Sorgen, wir müssen sie bewältigen, das kostet Kraft. Wir verlieren Szenarien zum sinnhaften Reframing von Ereignissen, aber auch Zukunftshoffnungen, also wichtigen Ressourcen zur Stressbewältigung."

Mit anderen Worten: Das Vertrauen in eine menschlich funktionierende Gesellschaft ist in den USA potenziell bedroht. "Die Feindseligkeit gegen ,die da oben‘ und ,die da‘, die Minderheiten, verselbstständigt sich", sagt Kliche. Dies wirke nachhaltig und "vermindert das spontane Vertrauen in Vernunft und Freundlichkeit anderer Menschen im Alltag." Rassistische Konflikte könnten eskalieren. "Misstrauen vermindert aber auf Dauer auch die Handlungs- und Innovationsfähigkeit, das Sicherheitserleben und Wohlbefinden in Gesellschaften."

Nicht Trump ist das Problem, sondern Misstrauen

Vor allem die Verweigerung von Tatsachen und vernünftiger Diskussion kennzeichneten Wahlkampf und Wahlentscheidung. Für Peters ein wesentliches Merkmal des Populismus. "Trump argumentierte nicht. Sondern er hat Befindlichkeiten zum Thema Migration und wirtschaftlichem Abstieg politisch ausgenutzt." Trump sei denn auch nicht das eigentliche Problem, so Peters weiter. "Sondern das Misstrauen in die politischen Institutionen und ein Klima der Angst und einer allgegenwärtigen Bedrohung von außen. Darauf bauen Populisten." Peters plant am 17. November in New York eine Diskussionsveranstaltung über den "boomenden politischen Populismus auf beiden Seiten des Atlantiks".

Eine Spaltung der USA, so Peters, existiere entlang kultureller, ökonomischer und ethnischer Konfliktlinien – und das dramatischer, als sich viele im Vorfeld einzugestehen bereit waren. Es seien aber auch paradoxe Phänomene zu beobachten, "denn viele der scheinbar sicheren Hillary-Wähler haben ihre Stimme Trump gegeben", sagt Peters. "33 Prozent aller Latino-Männer, 25 Prozent aller Latino-Frauen und 52 Prozent aller weißen Frauen haben republikanisch gewählt. Das verläuft auf den ersten Blick konträr zu den Linien im Wahlkampf. Clinton war nicht in der Lage, hier Vertrauen aufzubauen.

Kliche hingegen sieht kein tief gespaltenes Amerika. Eher ein verwirrtes: "Mir erscheint das Land eher, wie Europa auch, tief verwirrt, und in den Scheinorientierungen der Verwirrung sehr einig", sagte Kliche auf Anfrage der "Ärzte Zeitung". "Die alten Vorstellungen von Rechts und Links greifen nicht mehr". So habe Trump in seinem Wirtschaftsprogramm Regulation verkauft, sich selbst aber an der Steuer vorbeigemogelt. In seinen eigenen Bauprojekten hat er die kleinen Leute und Handwerker um ihre Löhne gebracht. Trotzdem sei er von diesen Verlierern der Modernisierung akzeptiert worden.

"Befeindung, Selbstaufwertung, Aggression"

"Heute Amerika, morgen Frankreich!", hat die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, nach der Wahl auf der anderen Seite des Atlantiks gesagt. Kliche rechnet denn auch damit, das die europäischen Rechten ihren "Weg noch radikaler gehen als bislang: unmittelbarer Konsum verpönter Gefühle, also von Befeindung, Selbstaufwertung, autoritärer Aggression gegen Minderheiten und Wut auf Personen statt Reform von Prozessen. Damit hat sehr erfolgreich schon Jörg Haider in Österreich gespielt." Üble Aussichten also.

Als Gegenmittel zum Front National oder zur AfD in Deutschland sieht Peters "eine gesellschaftliche und politische Differenzierungsbereitschaft zu allen Fragen, inhaltlichen wie werteorientierten." Dazu brauche es "charismatische, zupackende Politiker und transparente Institutionen, denen man so weit Vertrauen schenken mag, dass sie auch zugeben können, wenn sie etwas nicht zu beherrschen vermögen". Es geht auch hier um eine neue Glaubwürdigkeit. Doch wie kann die Macht des Populismus eingedämmt werden? Kliche setzt dazu auf ein "Zusammenwirken im Zeichen von Menschlichkeit und Vernunft und politisches Handeln."

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