Bürgerversicherung

Holländische Lektion für GKV und PKV

Die Große Koalition hat die Bürgerversicherung ad acta gelegt, die Niederländer schufen dagegen schon 2006 Fakten. Beim Nachbarn ist die Verschmelzung zweier Versicherungsmärkte gelungen - aber wie?

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:
Wahlkampf 2004: Kann Deutschland beim Thema Bürgerversicherung vom Nachbar Niederlande lernen?

Wahlkampf 2004: Kann Deutschland beim Thema Bürgerversicherung vom Nachbar Niederlande lernen?

© Wulf Pfeiffer / dpa

DRESDEN. Das Thema Bürgerversicherung steht aktuell zwar nicht auf der gesundheitspolitischen Agenda. Gleichwohl beschäftigen sich Experten nach wie vor mit der Frage, ob und wie private und gesetzliche Krankenversicherung zusammengeführt werden können.

Vor acht Jahren, am 1. Januar 2006, wurden in den Niederlanden die Unterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung aufgehoben und ein einheitliches Versicherungssystem eingeführt, erinnerte Geert Jan Hamilton aus Den Haag bei einer Fachtagung der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG) am Freitag in Dresden.

Vorangegangen war ein über Jahrzehnte laufender Prozess mit "kontinuierlichen kleinen Reformen", berichtete Hamilton, der seinerzeit im niederländischen Gesundheitsministerium für die Umstellung verantwortlich war.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer einheitlichen Versicherung sei die Harmonisierung der Gebührensätze gewesen. Heute, so Hamilton, werde die Reform von niemandem mehr infrage gestellt.

Fehlanreize durch das Vergütungssystem

Falsche Anreize im Vergütungssystem führen in Deutschland nach wie vor zu Fehlsteuerungen bei ärztlichen Leistungen, erklärte Dr. Anke Walendzik von der Universität Duisburg-Essen. Eine gemeinsame ambulante Gebührenordnung anstelle der Dualität von EBM-System und GOÄ könnte solche Fehlanreize korrigieren, so Walendzik.

Um dabei entstehende Honorarverluste in der ambulanten Versorgung und den eventuell erforderlichen Kompensationsbedarf abschätzen zu können, hat Walendzik mit ihren Mitarbeitern umfangreiche Simulationsberechnungen für einen Systemübergang angestellt.

Demnach könnten den niedergelassenen Ärzten bis 2030 jährlich bis zu sechs Milliarden Euro pro Jahr verloren gehen, die ganz oder teilweise durch staatliche Mittel ausgeglichen werden müssten.

Gegen einen abrupten Systemwechsel sprechen nach Ansicht von Martin Laurisch, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, vor allem verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Lösung könnte jedoch in einer intensivierten Konversion von GKV und PKV liegen. Eine Übertragung von Alterungsrückstellungen in ein neues System wäre nach Laurischs Angaben zulässig, wenn PKV-Versicherte in das neue System wechseln.

Alle bisherigen Bestrebungen einer Konvergenz etwa durch Einführung von Wahltarifen in der GKV oder eines Basistarifs in der PKV seien wenig zielführend, kritisierte Professor Eberhard Wille, stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates.

Dissens bei Politikern größer als in der Bevölkerung

Wesentlich wirksamer wäre es nach seiner Ansicht, wenn GKV und PKV unter gleichen Bedingungen in den Geschäftsfeldern der jeweils anderen Seite tätig werden könnten.

In der Bevölkerung sei die Notwendigkeit einer Integration von gesetzlicher und privater Krankenversicherung viel weniger umstritten als in der Politik, berichtete Dr. Stefan Etgeton von der Bertelsmann Stiftung. Viel wichtiger seien der Bevölkerung als ungerecht empfundene Unterschiede in der Versorgung wie etwa bei Wartezeiten, so Etgeton.

Den Versicherten gehe es vor allem um eine stabile funktionierende Gesundheitsversorgung, erklärte der Geschäftsführende Vorstand des AOK Bundesverbandes, Uwe Deh. Dabei spiele die Qualität der medizinischen Versorgung eine zunehmend wichtige Rolle.

Demgegenüber betonte der Vertreter der privaten Krankenversicherung Dr. Timm Genett, es bestehe keine Notwendigkeit für einen einheitlichen Versicherungsmarkt. Im Gegenteil. Die Dualität von PKV und GKV schütze vor einer Zwei-Klassen-Medizin und fördere die Umsetzung des medizinischen Fortschritts, so Genett.

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