Individualisierte Medizin: Hoffnung und Risiko zugleich

Individualisierte Medizin ist zurzeit nicht mehr als ein Versprechen - aber mit viel Potenzial. Die Forschung richtet sich danach aus. Das sei auch richtig so, sagen Experten.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
AkdÄ-Vorsitzender Ludwig - vermisst "wissenschaftlich-seriöse Studien".

AkdÄ-Vorsitzender Ludwig - vermisst "wissenschaftlich-seriöse Studien".

© AkdÄ

BERLIN. Die individualisierte Medizin ist ein Heilsversprechen, das derzeit niemand erfüllen kann. Dieses ernüchternde Fazit zogen die Teilnehmer des 3. Zukunftskongresses der Techniker Krankenkasse am Dienstag in Berlin.

Zwischen herkömmlicher Chemotherapie und heute bekannten Anwendungen personalisierter Medizin gebe es keinen signifikanten Unterschied, sagte Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Beim soliden Pankreaskarzinom zum Beispiel würden pro Tumor im Durchschnitt 63 genetische Veränderungen festgestellt. Patienten vorzugaukeln, hier könne Medizin gezielt eingreifen, sei zumindest sehr optimistisch. Noch seien die entscheidenden Biomarker nicht identifizierbar.

Dass die Industrie ihre Forschung in Richtung personalisierte Medizin ausrichte, sei aber richtig, betonte Ludwig. Schließlich würden heute zu hohen Jahrestherapiekosten rund 80 Prozent der Patienten mit Arzneien behandelt, die bei ihnen gar nicht wirkten.

Dafür müssten die Unternehmen wissenschaftlich-seriöse Studien auflegen. Dies sei gegenwärtig nicht erkennbar. Maßgeschneiderte Therapien werde es daher in den nächsten Jahren noch nicht geben. Wohl aber Therapiestrategien, die anhand genetischer Merkmale von Tumorzellen wichtige Informationen für die Therapieplanung lieferten, sagte Ludwig.

Ob die personalisierte Medizin ein Fluch oder Segen sei, lasse sich heute noch nicht beantworten, betonte Dr. Claus Runge von Astra Zeneca. Sein Unternehmen stecke derzeit 25 Prozent des Forschungsetats in diesen Zweig.

Derzeit seien zehn Wirkstoffe mit diesem Ansatz in der Pipeline. Die Industrie habe erkannt, dass die Voraussetzungen an die Studien gestiegen seien. Unter anderem müsse der Umfang der Studienpopulationen steigen.

Viele offene Fragen machte Hardy Müller vom Wissenschaftlichen Institut der Techniker Krankenkasse bei dem Thema aus. Die personalisierte Medizin sei eine Herausforderung. Kein Medikament wirke bei allen Patienten gleich. Eine gezieltere Medizin sieht er als Hoffnung für Patienten von morgen.

Aus der Perspektive der gesetzlichen Krankenversicherung befürchtet Müller einen schwer zu bewältigenden Kostenschub. Je stärker eine Therapie individualisiert wird, desto kleiner werden die Patientenzahlen, in der Folge können die Therapiekosten je behandeltem Patient steigen.

Jedes Medikament werde so zu einem Orphan Drug, das sich der frühen Nutzenbewertung und damit der Festsetzung eines Höchsterstattungsbetrages entziehen könne. Das gefährde auch die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens als Ganzes.

Zahlen aus den USA zeigten, so Müller, dass die Fähigkeit, allen Krebskranken durch Pharmakotherapie ein Jahr Lebenszeit zu schenken, ein Hundertfaches des heutigen Budgets nur für Krebs erfordern würde. Die sozialen und politischen Folgen müssten vorab geklärt werden.

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