Corona-Maßnahmen

Infektionsschutzgesetz: Ärzte und Juristen reagieren gespalten auf Ampel-Pläne

Sind die potenziellen Regierungsparteien auf dem richtigen Weg bei der Corona-Eindämmung? Ärzte, Virologen und Juristen kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen. Die Ampel-Partner wollen nachschärfen.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht: | aktualisiert:
In Wunsiedel (Bayern) hat sich am Samstag eine lange Warteschlange vor einem Corona-Impfzentrum gebildet. Die Gesellschaft für Virologie fordert vom Gesetzgeber, eine Art „Not-Schutzschalter“ zu etablieren, um die Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.

In Wunsiedel (Bayern) hat sich am Samstag eine lange Warteschlange vor einem Corona-Impfzentrum gebildet. Die Gesellschaft für Virologie fordert vom Gesetzgeber, eine Art „Not-Schutzschalter“ zu etablieren, um die Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.

© Nicolas Armer/dpa

Berlin. Vor dem Hintergrund neuer Rekordwerte bei den Corona-Neuinfektionen geht das geplante „Ampel“-Gesetz zu Änderungen am Infektionsschutzgesetz in die entscheidende Woche. Bei einer Anhörung im Hauptausschuss des Bundestages zum Gesetzentwurf am Montagnachmittag wurden dabei unterschiedliche Einschätzungen von Ärzten, Virologen und Juristen deutlich.

Kern des von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eingebrachten Entwurfs ist ein bundesweit einheitlicher Katalog von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Dieser soll unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bis 19. März 2022 angewendet werden – je nachdem, wie stark das regionale Infektionsgeschehen ist. Flächendeckende Schulschließungen oder Ausgangssperren soll es nicht mehr geben, ebenso wenig einen generellen Lockdown.

Pandemie-Notlage beenden oder nicht?

Die Bochumer Juristin Dr. Andrea Kießling betonte, der neue Schutzmaßnahmenkatalog könne von den Ländern auch ohne Feststellung der epidemischen Lage von den Ländern angewendet werden. Es sei gut, dass die „Ampel“ den Werkzeugkasten überprüfe – Dinge wie etwa Ausgangssperren seien verfassungswidrig.

Der Augsburger Rechtswissenschaftler Professor Ferdinand Wollenschläger erklärte dagegen, eine epidemische Lage von nationaler Tragweite liege auf der Basis der aktuellen Lageeinschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) „weiterhin vor“. Warum die „Ampel“ zu einer gegenteiligen Einschätzung gelange, erschließe sich aus dem Gesetzentwurf nicht.

Das RKI hatte am Montagmorgen eine neue bundesweite Rekordinzidenz von über 300 gemeldet. Besonders stark betroffen sind derzeit Bayern, Sachsen und Thüringen.

Impfen und mehr boostern!

Die Göttinger Physikerin und Modelliererin Dr. Viola Priesemann, sagte, 3G-Regeln am Arbeitsplatz oder 2G-Regeln für Kinos und Restaurants reichten nicht aus, um die hohen Inzidenzen herunterzudrücken.

Die meisten Kontakte und damit Ansteckungen spielten sich im Privaten ab. Über Schulen und auch am Arbeitsplatz träfen Geimpfte und Ungeimpfte aufeinander. Impfen und Boostern seien der „nachhaltigste Weg aus der Pandemie“. Eine Booster-Rate von 0,2 Prozent am Tag sei aber zu wenig – nötig sei mindestens ein Prozent der Bevölkerung. Israell habe die vierte Welle mit Boostern gebrochen.

Ähnlich äußerte sich der Chef-Virologe an der Berliner Charité, Professor Christian Drosten. Testungen auszuweiten sei richtig, so Drosten. Gleichwohl hätten die Tests keine „inhärente Schutzwirkung“ gegen das Virus.

Wer übernimmt Kosten für Verteilung von Schutzmasken?

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) stößt sich in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf grundsätzlich nicht am Auslaufen der epidemischen Lage. Allerdings müsse sichergestellt sein, dass etwa die für die Verteilung von Schutzmasken und Schutzmaterialien anfallenden Kosten der Kassenärztlichen Vereinigungen weiter von den Kassen übernommen werden.

Dasselbe gelte für Zusatzkosten, die für die Bereitstellung von Schwerpunktambulanzen anfielen. Beides, so die KBV, sei durch den aktuellen Gesetzentwurf nicht gewährleistet.

Erhebliche Kritik am Corona-Plan der „Ampel“ tragen Vertreter des Berufsverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) vor. Die mutmaßlichen Koalitionäre wollten mit ihrem Paket „die Auswirkungen der Pandemie beherrschen“ ohne die Pandemienotlage zu verlängern. „Dies wird nicht gelingen“, heißt es in der Stellungnahme des BVÖGD. Es brauche weiter die Möglichkeit, Kontakte zu beschränken.

Die Zahl der Patienten auf Intensivstationen drohe ansonsten weiter zu steigen, „nachfolgend“ auch die „Zahl der Toten, da die Zahl der Geimpften noch nicht ausreichend ist“, warnen die Amtsärzte eindringlich. Auch Intensivmediziner hatten sich so geäußert.

Ende der Notlage – kommunikativ gefährlich

Die Leiterin des Gesundheitsamtes des Kreises Gütersloh, Dr. Anne Bunte, sagte in der Anhörung, die epidemische Lage jetzt auslaufen zu lassen, wecke womöglich die „Assoziation“ in der Bevölkerung, Corona sei vorbei. Man habe es aber aktuell nicht mehr mit einem „isolierten“, sondern mit einem „diffusen Ausbruchsgeschehen“ zu tun. „Extrem viele Kontakte“ führten zu zahlreichen Neuinfektionen in allen Bevölkerungsteilen.

Impfungen alleine reichten nicht, Testen auch nicht, ebenso wenig 3G oder 2G, um die Entwicklung zu stoppen, sagte Bunte. Es sei „die Kombination all dieser Maßnahmen“, die am Ende die Welle absenke.

Ähnlich argumentiert die Gesellschaft für Virologie (GfV). Nötig sei eine „Art Not-Schutzschalter“ für die Pandemiebekämpfung. Per Knopfdruck könne damit ein breit gefächertes Spektrum an Maßnahmen ausgelöst werden. Zu diesen Maßnahmen gehörten außer Homeoffice und Testpflicht am Arbeitsplatz, auch die Schließung von Geschäften, Restaurants und Veranstaltungen sowie „generell“ eine „deutliche Reduktion von Kontakten auf der Arbeit, in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich“.

Für eine maximale Wirksamkeit wären diese Maßnahmen konzertiert und gleichzeitig durchzuführen. Der „Lockdown-light“ im vergangenen Winter 2020/2021 sei im Gegensatz zu einem „Not-Schutzschalter weder effektiv noch zielführend“ gewesen, kritisiert die GfV.

3G in Bussen und Zügen

Am Wochenende hatten mehrere Grünen-Landesminister die Verlängerung der epidemischen Lage angemahnt. Dazu sind die „Ampel“-Fraktionen bislang nicht bereit, gleichwohl wollen sie ihren Instrumentenkasten im Kampf gegen Corona deutlich erweitern. Ausweislich mehrerer der „Ärzte Zeitung“ vorliegenden Änderungsanträgen von SPD, Grünen und FDP sind eine 3G-Regel am Arbeitsplatz und eine Homeoffice-Pflicht geplant.

Um die möglichst flächendeckende und lückenlose Umsetzung der Nachweispflicht über den Status geimpft, genesen oder getestet in den Unternehmen sicherzustellen, seien „effiziente und damit tägliche Kontrollmechanismen unabdingbar“, heißt es in den Anträgen weiter.

Strenge Regeln für den Besuch von Altenheimen

Für Alten- und Pflegeheime ist zudem eine generelle Testpflicht für Besucher, darunter auch „Therapeuten“, geplant. Arbeitgeber und Beschäftigte, die geimpft und genesen sind, sollen in den Einrichtungen einen Impf- oder Genesenen-Nachweise mit sich führen. Außerdem müssen sie einen Antigen-Tests zur Eigenanwendung durchgeführt haben oder über einen Nachweis eines negativen Ergebnisses eines PCR-Tests, der nicht älter als 72 Stunden ist, verfügen.

Im Raum steht zudem die Einführung von Kontaktbeschränkungen gerade auch für Ungeimpfte, 3G im Fernverkehr und im öffentlichen Personennahverkehr sowie eine Länderöffnungsklausel. Diese soll für Länder mit sehr hohen Inzidenzen weitere Handlungsoptionen schaffen.

DKG: Corona-Zuschlag für alle Kliniken – und umfänglicher

Im Gespräch ist auch ein Versorgungszuschlag für die wegen der neuen Corona-Welle besonders belasteten Krankenhäuser. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßt das Ansinnen, pocht aber auf eine Ausweitung des Zuschlags auf alle Krankenhäuser. Geschehe dies nicht, dann seien „bewährte Versorgungsnetzwerke in den Regionen gefährdet“, warnte DKG-Präsident Ingo Morell in der Anhörung.

Es gebe Gegenden, da unterstützten Häuser, die keine COVID-19-Patienten versorgten, jene Kliniken mit vielen Corona-Patienten, indem sie etwa bei anderen Indikationen und Eingriffen einsprängen.

Kritisch sieht die Kliniklobby zudem, dass der Versorgungsaufschlag als „reine Liquiditätshilfe“ angelegt sei. Lediglich 15 Prozent des Zuschlags kämen bei den Häusern „als erlöswirksame finanzielle Unterstützung“ an. Die restlichen 85 Prozent müssten sie über den Ganzjahresausgleich zurückzahlen. Das werde dem Beitrag der Krankenhäuser für die Pandemiebekämpfung nicht gerecht, so Morell.

Gernot Kiefer vom GKV-Spitzenverband hielt dagegen, je zielgenauer die Corona-Zuschläge seien, desto sinnvoller gestalte sich das Prozedere. „Unspezifische Freihaltepauschalen“ wollten die Kassen nicht länger finanzieren.

Der Bundestag will das Gesetz am Donnerstag beschließen – am Freitag ist die Länderkammer am Zug.

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