Deutschland und Frankreich

Keine Grenzen in den Köpfen, aber große Bürokratiehürden

An den Menschen in den Grenzregionen liegt es nicht, dass die Kooperation in der Gesundheitsversorgung zwischen Deutschland und Frankreich nur schleppend vorankommt. Hoffnung auf neuen Schwung weckt der Aachener Freundschaftsvertrag.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Zwischen Deutschland und Frankreich geht noch mehr.

Zwischen Deutschland und Frankreich geht noch mehr.

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Obwohl der kürzlich in Aachen von Emmanuel Macron und Angela Merkel unterzeichnete neue Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration keine spezifischen Kooperationen im Gesundheitswesen vorsieht, könnte dieser Text die schon bestehenden Programme positiv beeinflussen. Das gilt vor allem für die Zusammenarbeit in den Grenzregionen.

Zu den besten Symbolen der langjährigen deutsch-französischen Zusammenarbeit zählt der sogenannte „Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau “. Er verbindet seit 2005 die elsässische Stadt Straßburg und den badischen Ortenaukreis enger miteinander. Hauptaufgaben des Eurodistrikts betreffen unterschiedliche Themen. Das reicht von Verbesserungen im Verkehrswesen, bis zur Kultur oder der Förderung der Zweisprachigkeit und bis zum Gesundheitswesen.

In vielen Bereichen soll die Kooperation verstärkt werden. Aber vor allem im Gesundheitswesen erwarten die Menschen konkrete Maßnahmen. Dazu gehört vor allem das Recht, den Arzt diesseits und jenseits des Rheins frei wählen zu können.

Patienten verzichten entnervt auf ihre Rechte

Hier berichten elsässische und badische Ärzte unisono, dass es nie einfacher war, als französischer Patient einen deutschen Arzt zu konsultieren und umgekehrt. Geht es um die Kostenübernahme durch die Krankenkasse, sieht die Sache aber schon ganz anders aus.

Die in Kehl sitzende deutsch-französische Verbraucherzentrale registriert viele Fälle von Patienten, die laut EU-Richtlinien zwar als Versicherte das Recht haben, sich auf der anderen Rheinseite behandeln zu lassen. Nehmen sie dieses Recht allerdings in Anspruch, würden sie oft von ihren Krankenkassen so schikaniert, dass sie am Ende völlig entnervt doch selbst einen Teil der Kosten übernehmen.

Einige Patienten empfinden die Verfahren als so demütigend, dass sie auf ihr Recht der grenzüberschreitenden Behandlung lieber verzichten, als sich diesem Stress weiter auszusetzen. So werden viele junge elsässische Patienten im knapp zehn Kilometer von der Grenze liegenden Epilepsiezentrum Kork, einem der größten Zentren dieser Art in Deutschland, behandelt.

Spricht man mit ihren Familien, freuen sich alle über die Behandlungen, aber die bürokratischen Hürden sorgen auch hier für großen Unmut. Zwar hat der Eurodistrikt keine gesetzliche Kompetenz, um solche Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.

Da der Vertrag von Aachen aber vorsieht, mit neuen Regeln und administrativen Maßnahmen grenzüberschreitende Fragen leichter zu lösen, können Ärzte und Patienten hoffen, dass die Frage der einfacheren Kostenübernahme von Behandlungen auch Thema sein wird.

Grenzüberschreitende Projekte arbeiten mit Erfolg

Der Eurodistrikt hat sich auch für innovative binationale Strukturen eingesetzt. Eine davon ist die Kehler Praxis für Suchtmedizin. Seit September 2013 wird auf deutschem Boden mit deutsch-französischem Personal gearbeitet.

Ein interdisziplinäres Team aus einem Arzt, einem Sozialarbeiter und einem Psychologen begleiten die Patienten aus beiden Ländern. Dazu treffen sich regelmäßig Ärzte aus beiden Staaten. Sie vergleichen Behandlungsmethoden und tauschen sich darüber aus, dass die Süchtigen diesseits und jenseits des Rheins unterschiedliche Medikamente bekommen und auch verschiedene Verhaltensweisen an den Tag legen.

Nicht nur im Eurodistrikt, sondern im gesamten Grenzgebiet, vom Saarland bis zur schweizerischen Grenze, hat sich die deutsch-französische Kooperation trotz verschiedener bürokratischer Schwierigkeiten gut entwickelt. Der 2005 zwischen Deutschland und Frankreich unterschriebene Rahmenvertrag betrifft unter anderen sieben Kooperationsprogramme im Gesundheitswesen.

Dadurch können Rettungsdienste der beiden Länder beim Nachbarn eingesetzt werden, Franzosen mit schweren Brandverletzungen in Ludwigshafen behandelt werden. Auch bei der stationären Therapie von Kardiologiepatienten sowie bei Epilepsiepatienten, in der Neurologie und Orthopädie bestehen solche Abkommen.

Geht es nach den Willen der regionalen Gesundheitsbehörde „Agence Régionale de la Santé“ (ARS) könnte die Kooperation noch weiter gehen. Da beide Länder von ähnlichen Problemen, vor allem Ärztemangel, betroffen sind, könnte man sich zum Beispiel weitere binationale Praxen oder Kliniken in Grenzregionen sowie einen besseren Patientenaustausch vorstellen.

Auch die Zusammenarbeit bei Prävention und Umweltmedizin würde die ARS gerne weiter entwickeln.

Unterschiedliche politische Strukturen

Mit der Frage, warum die deutsch-französische Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sich bis jetzt nur mäßig entwickelt hat, hat sich die ARS kürzlich in einer Studie beschäftigt. Die Agentur sieht die verschiedenen Regierungsstrukturen wischen den beiden Ländern als Hauptproblem.

Trotz des Adjektives „regional“ im Namen steht sie unter der Leitung eines Direktors, der bei allen wichtigen Entscheidungen vom Pariser Gesundheitsministerium abhängig ist. Und im immer noch stark zentralisierten Frankreich gibt es nur einen Gesundheitsminister, während es in Deutschland einen Bundesminister für Gesundheit und 17 Landesgesundheitsminister gibt.

Drei von ihnen, die Minister aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, sind von grenzüberschreitenden Kooperationen mit Elsass und Lothringen betroffen. Dies ist mühsam, weil der französische Minister mit dem Bundesminister und nicht mit den Landesministern verhandelt, während die Landesminister deutlich mehr Kompetenzen als die französischen Beamten der Agentur haben. Sie sind nur Außenposten des Ministeriums in der Region.

Ähnliches gilt für die Krankenkassen. Auch hier ist die Organisation in beiden Ländern unterschiedlich. Aber jetzt darf man hoffen, dass die Vereinfachungen, die der Aachener Vertrag bringen soll, auch die Entscheidungen in grenzüberschreitenden Gesundheitspolitik beschleunigen werden.

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