KBV und BÄK in Brüssel

Klima toppt Arznei-Engpässe bei der EU

Die deutsche Ärzteschaft ist wegen der Lieferengpässe von Arzneien besorgt. In Brüssel dreht sich aber offenbar derzeit alles um den Klimaschutz. Und die Industrie erwartet mehr von Europa.

Von Detlef Drewes Veröffentlicht:
Arznei-Engpässe: Die Verärgerung über die langjährige Untätigkeit der EU-Kommission ist groß bei Ärzten und Apothekern.

Arznei-Engpässe: Die Verärgerung über die langjährige Untätigkeit der EU-Kommission ist groß bei Ärzten und Apothekern.

© Bildagentur-online/Ohde

Brüssel. Die Stimmen, die vor den Folgen des Mangels an Arzneimitteln in Europa warnen, werden lauter. „Die Patienten sind die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten“, sagte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), am Donnerstag in Brüssel.

„Wir haben ein ernsthaftes Problem“, betonte der CDU-Europa-Abgeordnete Peter Liese. BÄK und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatten das Forum in Brüssel am Donnerstag ausgerichtet.

Auch wenn nahezu alle namhaften Organisationen vertreten waren – die neue Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides wurde schmerzlich vermisst.

Denn die Verärgerung über die langjährige Untätigkeit der EU-Kommission ist groß: „Die Lieferengpässe sind aufgetreten, trotz der bereits in Artikel 81 der Richtlinie 2001/83 über Humanarzneimittel festgelegten Verantwortlichkeit der Hersteller“, sagte Professor Wolf-Dieter Ludwig, Chef der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), in Brüssel.

In den letzten Jahren seien zahlreiche Positionspapiere veröffentlicht worden, wirkliche Erfolge hätten sich aber nicht eingestellt.

Verbände haben Katalog gegen Lieferengpässe erarbeitet

Dabei liegen viele Vorschläge wie die „verpflichtende Bekanntgabe und Meldung von Engpässen durch Pharmahersteller oder den Großhandel“ oder die Erhöhung der Lagerbestände samt Androhung von Sanktionen bei Nichtbeachtung auf dem Tisch.

BÄK, AkdÄ, Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) haben einen Katalog ausgearbeitet.

Auf EU-Ebene mahlen die Mühlen aber offenbar langsam. Zwar bemühte sich Andrzej Rys von der EU-Generaldirektion Gesundheit „positive Nachrichten“ zu verbreiten: „Wir haben die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und Verbänden gestartet. Wir wollen innovative Pharma-Unternehmen in der EU halten.“

Doch eine kurzfristige Lösung sei dies nicht. Ein EU-weites Meldesystem für alle Präparate, die auf einer europäischen Liste versorgungsrelevanter Arzneimittel geführt werden, lässt auf sich warten.

Das vorgeschlagene elektronische Format mit Zugangsmöglichkeiten für Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker, ist noch nicht fertig.

Bei Medikamenten-Versorgung „autarker werden“

Professor Frank Ulrich Montgomery, Mitglied im Vorstand des Weltärztebundes (WMA), regte eine „konsequentere Vorratshaltung“ an, auch wenn diese mit Problemen behaftet sei: „Es hilft nicht, wenn ein Medikament in Deutschland vorrätig ist, aber nicht auf Malta.“

Außerdem empfahl er den EU-Mitgliedstaaten, nicht nur zusammenzuarbeiten, sondern in der Versorgung mit wichtigen Medikamenten „autarker“ zu werden. Darüber hinaus seien bessere Verträge mit Herstellern und den Ländern nötig, in denen die Produzenten sitzen.

EU-Parlamentarier und Arzt Liese mahnte, nicht in der Situation zu verharren, in der sich Industrie und Versicherungen gegenseitig die Schuld geben.

Er warnte in Brüssel vor einem weiteren Problem in der Gemeinschaft: Das Augenmerk der EU liege gerade vor allem auf dem Green Deal und Klimapolitik. Dies dürfe nicht dazu führen, dass „andere Herausforderungen, vor denen wir stehen, vergessen werden.“

vfa: Europa könnte sehr viel mehr tun

Forderungen, Arzneien nur in Europa zu produzieren, hält der Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel, für kontraproduktiv. „Ein Zurückdrehen der Globalisierung erscheint mir wenig aussichtsreich“, sagte er am Donnerstag der „Ärzte Zeitung“.

Das wäre auch „nicht fair gegenüber unseren Partnern in den Schwellenländern, die in puncto Qualität viel erreicht haben“. Vielmehr brauche es „mehr Zusammenarbeit, um gemeinsam möglichst hohe Qualitätsstandards festzulegen, die dann weltweit gelten“, so Steutel.

Die Mitgliedsländer der EU könnten selbst sehr viel mehr tun, „um die Sicherheit der Arzneimittelversorgung zu stärken“. Dabei könne Europa „ruhig selbstbewusst vorgehen und sich fragen, wie es dazu beitragen kann, höchste Produktionsstandards weltweit zu etablieren“, sagte Steutel. (Mitarbeit: nös)

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