Urteil
Krebskrankheit steht U-Haft nicht entgegen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist die Beschwerde eines Angehörigen ab, die Inhaftierung des Vaters sei nicht mit der Erkrankung vereinbar gewesen.
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Krank im Gefängnis: Nur in wenigen Fällen ein Grund für eine Entlassung.
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STRAßBURG. Auch mit einer schweren Erkrankung wie Krebs müssen Straf- oder Untersuchungsgefangene nicht aus der Haft entlassen werden. Eine entsprechende medizinische Versorgung reicht aus, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Er wies damit die Beschwerde eines Belgiers ab, dessen Vater während der Untersuchungshaft starb.
Bei dem Vater war im Oktober 2010 Krebs diagnostiziert und deswegen eine Chemotherapie begonnen worden. Zwei Monate später wurde er wegen des Verdachts festgenommen, in einer Bar alkoholisiert einen anderen Mann erschossen zu haben. Während der Untersuchungshaft wurde die Chemotherapie fortgesetzt. Das medizinische Personal des Gefängnisses kümmerte sich um den Mann, und auch sein regulärer Arzt konnte ihn regelmäßig untersuchen. Dennoch verlangte der Vater im April 2011 seine Entlassung; Behörden und Gerichte lehnten dies ab.
Die Chemotherapie konnte die Metastasen nicht mehr stoppen. Der Vater wurde zuletzt aus dem Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt und starb dort am 16. Mai 2011.
Mit seiner Beschwerde vor dem EGMR machte der Sohn geltend, die Erkrankung seines Vaters sei mit der weiteren Haft nicht mehr vereinbar gewesen. Er habe daher entlassen werden müssen.
Doch Belgien hat weder das Recht auf Leben noch das Verbot unmenschlicher Handlung verletzt, urteilte der EGMR. Die medizinische Versorgung sei auch während der Haft sachgerecht fortgeführt worden. Der Vater sei an den Krebs-Metastasen gestorben, die schon vor Beginn der Untersuchungshaft diagnostiziert worden seien. Ein Zusammenhang mit der Haft sei nicht erkennbar. Auch ein Arzt, der den Wunsch nach einer Entlassung unterstützt habe, habe nicht dargelegt, welche Umstände der Haft der Gesundheit des Vaters weiter schaden würden. Als er eine Woche vor seinem Tod tatsächlich haftunfähig war, sei er in ein Krankenhaus verlegt worden. Bei ihrer Entscheidung gegen eine Freilassung hätten die belgischen Behörden und Gerichte zudem auch das Risiko einer Wiederholungstat berücksichtigen dürfen, betonten die Straßburger Richter abschließend.(mwo)
Europ. Gerichtshof für Menschenrechte;
Az.: 76512/11