Venezuela nach der Wahl

Kuriert sich nun das Gesundheitswesen?

In Venezuela dürfte die 1999 von Präsident Hugo Chávez eingeleitete bolivarische Revolution vor dem Aus stehen. Sein Nachfolger Nicolás Maduro muss nach der Wahl vom Wochenende einen Teil seiner Macht abgeben. Das könnte die Gesundheitsversorgung beflügeln.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:

CARACAS. Die Bevölkerung in Venezuela hat es offensichtlich satt, stundenlang in Einkaufsmärkten anzustehen und dann eventuell doch kein Brot, Mehl oder ein anderes benötigtes Grundnahrungsmittel mehr ergattern zu können.

Fast ebenso desolat sieht es nach übereinstimmenden Aussagen von Nichtregierungsorganisationen und regimekritischen Nonprofit-Organisationen, wie der Venezuela Analysis (VA), sowie internationalen Medienberichten auch in den meisten medizinischen Versorgungseinrichtungen des südamerikanischen Staates aus.

Darüber kann auch das 2003 von Präsident Hugo Chávez und seinem kubanischen Amts- und Revolutionsführerkollegen Fidel Castro ins Leben gerufene Projekt "Barrio Adentros" ("ins Wohngebiet") zur kostenlosen medizinischen Versorgung vor allem der ärmsten Bevölkerung in den sozial schwachen Bezirken nicht hinwegtäuschen.

Laut VA gab die venezolanische Regierung Stand April 2014 an, dass in den Armenvierteln 6712 kommunale Konsultationsbüros für Kranke und 566 Kliniken sowie Diagnostikzentren etabliert worden seien.

Wie die "Granma", das Sprachorgan der Kommunistischen Partei Kubas, zwei Monate später ergänzte, seien dem venezolanischen Volk - unter Beteiligung zahlreicher kubanischer Ärzte, die das Regime in Havanna entsandt hatte - mehr als 617 Millionen kostenloser medizinischer Konsultationen ermöglicht und mehr als 1,75 Millionen Menschenleben gerettet worden.

Andauernde Engpässe bei Arzneien

Nach 16 Jahren sozialistischer Regierungsmehrheit steht Venezuela jetzt wahrscheinlich vor einer Zeitenwende. Die Opposition hat bei der Parlamentswahl am Sonntag eine deutliche Mehrheit erzielt.

Auf die konservativen und sozialdemokratischen Parteien entfielen mindestens 99 der 167 Mandate, wie die Präsidentin des nationalen Wahlrats, Tibisay Lucena, am Montagmorgen in Caracas mitteilte.

Es ist der größte Erfolg des 2008 gegründeten Bündnisses "Mesa de la Unidad Democrática" (MUD). Der sozialistische Regierungsblock erlitt mit nur 46 errungenen Mandaten eine herbe Niederlage - damit wird Präsident Nicolás Maduro auf Kompromisse angewiesen sein.

Er räumte die Niederlage ein und betonte unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Ergebnisse im Fernsehen: "Wir akzeptieren das."

Beobachter verweisen aber darauf, dass sich erst noch zeigen muss, ob die sehr unterschiedlichen Parteien im Parlament auch an einem Strang ziehen werden.

Venezuela steht kurz vor dem Ruin und leidet unter der höchsten Inflationsrate der Welt. Gerüchte machen sich breit - und Indizien stützen das laut VA auch -, dass durch die starke Reglementierung der Einfuhr pharmazeutischer sowie medizintechnischer Produkte nach Venezuela immer mehr eingeführte Waren auf den benachbarten kolumbianischen Markt durchgeschleust werden, um dort höhere Gewinne zu erzielen.

Denn für die letztlich vom Staat zu finanzierenden Waren gälten festgelegte, äußerst ungünstige Wechselkurse für den US-Dollar.

Auch die internationalen Pharma- und Medizintechnikanbieter scheinen sich in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr allzu viel vom venezolanischen Markt versprochen zu haben.

So berichtet zum Beispiel die deutsche Außenhandelsagentur Germany Trade & Invest, dass immer mehr Unternehmen Caracas & Co verlassen, um den regionalen Markt von Kolumbien aus zu bearbeiten, das inzwischen über eines der umfassendsten öffentlichen Krankenversicherungssysteme in Lateinamerika verfügt.

Gesundheitsminister in der Offensive

Die Regierung in Caracas hatte Defizite bei der Versorgung bestimmter Patientengruppen nicht vertuscht. So proklamierte Gesundheitsminister Henry Ventura im April dieses Jahres das "sistema integral para el acceso a medicamentos" (Siamed), das eine Priorisierung vornehmen solle.

Betroffene Patienten, die zum Beispiel an Herzkrankheiten, Diabetes mellitus oder neurologischen Indikationen litten, sollten so die Möglichkeit bekommen, nach einer vorherigen Registrierung - basierend auf einer Arztempfehlung - bei einer von landesweit 7000 projektierten Apotheken kostenlos an die Medikation zu kommen.

Beflügeln sollte das unter anderem eine bereits 2014 zugesagte Finanzspritze zur Arzneibeschaffung in Höhe von 600 Millionen US-Dollar.

Einen Rückschlag hatte die Regierung sicherlich dadurch erlitten, dass Ende Oktober - und damit quasi unmittelbar vor dem Wählervotum - der venezolanische Generalstaatsanwalt einen hohen Vertreter des Gesundheitsministeriums wegen des illegalen Abzweigens von mehr als einer halben Million medizinischer Versorgungsgüter aus dem öffentlichen Sektor angeklagt hat. (mit Material von dpa)

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