Länder und Hersteller nehmen Arzneigesetz aufs Korn

Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats und Pharma-Verbände dringen auf Änderungen am Arzneigesetz.

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Der Bundesrat sieht beim AMNOG Änderungsbedarf. Am Freitag soll darüber beraten werden.

Der Bundesrat sieht beim AMNOG Änderungsbedarf. Am Freitag soll darüber beraten werden.

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BERLIN (af/fst). Die Ausschüsse des Bundesrats fordern zum Teil grundsätzliche Änderungen am Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG). Die Länderkammer wird am Freitag darüber beraten. Allerdings ist das Gesetzespaket nicht zustimmungspflichtig. Der Bundestag kann also mit Mehrheit einen Einspruch des Bundesrats zurückweisen.

Einen Fokus der Kritik bildet das Vorhaben, das allgemeine Wettbewerbsrecht auch in der GKV anzuwenden. "Die Bedeutung des Wettbewerbs unter den Krankenkassen ist mit dem in der gewerblichen Wirtschaft nicht vergleichbar", warnt der Gesundheitsausschuss und stellt klar, Wettbewerb der Kassen habe "lediglich eine dienende Funktion zur Erfüllung sozialstaatlicher Aufgaben".

Anders als die Bundesregierung hält der Bundesrat am ursprünglich geplanten Verbot von Pick-up-Stellen für Arzneimitteln etwa in Drogeriemärkten und Discountern fest. Diese Art des Versandhandels "bedroht die bewährte Art der Rund- um-die-Uhr-Versorgung", glaubt der Ausschuss. Die Bundesregierung hatte ein Verbot des Pick-up wegen rechtlicher Bedenken ad acta gelegt.

Ablehnend reagiert der Länderkammer-Ausschuss auch auf das Vorhaben im AMNOG, die Möglichkeiten zur Kostenerstattung auszuweiten. Danach soll es Versicherten künftig erlaubt sein, alternativ zum rabattierten Präparat ein anderes, austauschbares zu wählen und den Mehrpreis dann selbst zu zahlen. Diese Mehrkostenregelung erhöhe die Bürokratie und gefährde das Instrument der Rabattverträge, weil Kassen den Herstellern dann keine Abnahmegarantie mehr geben können.

Die von der Koalition geplante verschärfte Pflicht zur Aut-idem-Substitution gefährdet nach Ansicht des Gesundheitsausschusses die Therapiesicherheit der Patienten. Laut Gesetzentwurf soll der Austausch eines Arzneimittels durch den Apotheker schon dann geboten sein, wenn in der Zulassung nur eine Indikation von mehreren identisch ist. Das habe zur Folge, dass Versicherte Arzneimittel ausgehändigt bekommen, "deren Fachinformation und Packungsbeilage die individuelle Erkrankung des Versicherten nicht aufführen", warnt der Ausschuss. Er fordert, die Indikationsbereiche des verordneten und des abzugebenden Arzneimittels müssten gleich sein.

Die verschärfte Austauschpflicht stößt auch bei Pharmaherstellern auf herbe Kritik. Arzneimittelsicherheit und Patientenschutz würden ausgehebelt, um die Rabattverträge gangbar zu machen, sagte am Mittwoch der Dresdner Pharmakologe Professor Wilhelm Kirch bei der Vorstellung eines Gutachtens im Auftrag des Verbands ProGenerika.

So könnte eine an Bluthochdruck leidende Frau in der Apotheke künftig ein Generikum des Wirkstoffs Terazosin erhalten, in dessen Beipackzettel nur auf die Indikation Prostatahypertrophie hingewiesen werde. "Das ist eine groteske Konsequenz aus AMNOG und Rabattverträgen", sagte Kirch, Direktor des Instituts für Pharmakologie an der TU Dresden. Es handele sich nicht um Einzelfälle. Dies bestätigt Dr. Stefan Plantör vom Verband ProGenerika. Eine Analyse der 143 Wirkstoffe unter AOK-Rabattvertrag zeige, dass bei 101 Wirkstoffen Präparate mit abweichenden Indikationen von den Hauptanwendungsgebieten im Markt sind. Auf diese Wirkstoffe bauten rund 5000 Medikamente auf, die verfügbar sind. Von diesen wiesen wiederum 2011 abweichende Indikationsspektren auf. Kirch empfiehlt - wie der Gesundheitsausschuss des Bundesrats -, den Gesetzentwurf so zu ändern, dass auch künftig nur Präparate ausgetauscht werden dürfen, wenn das abzugebende Medikament alle Indikationen des verordneten abdecke.

Vor einem "Systemwechsel" bei der geplanten Änderung der Packungsgrößenverordnung warnt Professor Hartmut Morck von der Universität Marburg. Die Regierung will klarstellen, dass geringfügige Abweichungen in der Packungsgröße nicht zu einer Aufhebung der Substitutionspflicht führen. Ärzte könnten künftig Arzneipackungen mit bis zu 1200 Tabletten verordnen. Für Patienten habe das keinen Nutzen, so Morck. Der neu geschaffene Spielraum bei Verpackungsgrößen diene einzig dazu, Rabattverträge durchzusetzen, kritisierte er. Morck forderte, diese Regelung aus dem AMNOG herauszunehmen.

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