Transplantationswesen

Lebendspende zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Jüngste Skandale werfen ein schlechtes Licht auf die bis dato hoch angesehene Transplantationsmedizin in Deutschland. Dabei geht es vor allem um Missstände bei Lebendspenden, die nicht nur die Fachgesellschaften wieder in den Griff bekommen möchten.

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Postmortale Organspenden finden in Deutschland immer weniger Anklang.

Postmortale Organspenden finden in Deutschland immer weniger Anklang.

© Mathias Ernert/Universität Heidelberg

HEIDELBERG. Außenminister Frank Walter Steinmeier hat seiner Frau im Jahre 2010 eine Niere gespendet. Er hat den Eingriff sichtlich gut überstanden, denn er absolviert ein immenses Arbeits- und Reiseprogramm.

Doch es gibt auch andere Fälle: Spender leiden an Folgen wie Bluthochdruck, Fatigue, Nierenfunktionsstörungen an der verbleibenden Niere, oder das gespendete Organ funktioniert nicht.

"Es ist eine Verunsicherung auf dem Gebiet der Lebendspende eingetreten", sagt der Leiter des Regensburger Transplantationszentrums, Professor Bernhard Banas zur "Ärzte Zeitung".

Er ist President-Elect der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) und Fachkommissionsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). "Die Lebendspende ist kein Austauschmotor, sondern ein einschneidender Eingriff für Spender und Empfänger und nur dann vertretbar, wenn keine geeignete postmortale Spende zur Verfügung steht."

Außerdem müssen gute Erfolgsaussichten für den Empfänger bestehen. Das heißt, Risiken dürfe man nicht eingehen. Denn: "Wenn es nicht klappt , ist das eine Katastrophe".

Skandale belasten Transplantationswesen

Eine solche hat erst vor kurzem Schlagzeilen gemacht. Der Empfänger ist nach der Transplantation vor drei Jahren gestorben, seine spendende Ehefrau leidet seither an gravierenden Folgen wie Hypertonie und Fatigue.

Gegen das Heidelberger Transplantationsteam ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung. Solche spektakulären Fälle befeuern die Unsicherheit im deutschen Transplantationswesen weiter, das in den letzten Jahren bereits durch Skandale bei der postmortalen Spende erschüttert worden ist.

Die Ist-Situation bei den Nierenspenden: Von 80.000 Dialysepatienten in Deutschland wurden Ende 2013 etwa 10 Prozent, exakt 7908 auf der Eurotransplant-Warteliste geführt.

Im letzten Jahr gab es 876 postmortale Spender in Deutschland - ein historisches Tief. Laut Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wurden in 2013 1.547 Nierentransplantationen nach postmortaler Spende durchgeführt, 725 nach einer Lebensnierenspende.

Es klafft also eine Riesenlücke zwischen postmortalem Organangebot und Nachfrage. Das erhöht die Nachfrage nach Organspenden Lebender: "Die Situation ist maximal angespannt, sagt der Regensburger Transplantationsmediziner.

Auf der einen Seite besteht der hohe Druck von Dialysepatienten und deren Angehörigen an die Transplantationszentren mit dem Wunsch nach einer Lebendnierenverpflanzung. Auf der anderen Seite weiß man um das Risiko, für Folgeschäden haftbar gemacht zu werden.".

Strenge Kriterien bei der Spenderauswahl müssen bleiben

Führt der Organmangel dazu, dass bei den Lebendspendern wie den Empfängern die Auswahlkriterien nicht mehr so streng gehandhabt werden? Der Regensburger Mediziner räumt ein, dass das von Fall zu Fall sein könne, wenn man glaube, aufgrund längerer Erfahrung mit Lebendspenden eher grenzwertige Situationen beherrschen zu können.

Diese Entwicklung wäre äußerst kritisch. Auch wenn der Organmangel groß sei, müsse man bei der Spenderauswahl strengen Kriterien folgen.

Nur gibt es bislang in Deutschland zwar "Grundprinzipien", aber keine standardisierten Richtlinien für die Lebend-Transplantation. Die werden von einer Kommission der Bundesärztekammer derzeit erarbeitet.

Momentan fühle man sich als Transplanteur sehr unwohl, weil man keine Rahmenbedingungen habe, auf die man sich berufen könne und die Entscheidung gewissermaßen "mutterseelenallein" treffen müsse, schildert Banas die Problematik in den Zentren.

Die Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e.V., in der sich Lebendspender organisiert haben, fordert, sich an den Kriterien der Amsterdam Leitlinien für die Spenderauswahl zu orientieren, die klare Vorgaben über den Gesundheitszustand eines potenziellen Spenders macht.

Auch Banas ist der Meinung: "Wir brauchen dringend verbindliche Richtlinien für Lebendspende-Transplantationen!"

Aufklärungspraxis in der Kritik

Die Betroffenenorganisation kritisiert auch die Aufklärungspraxis für potenzielle Lebendspender. Die Risiken würden oft kleingeredet. Wurden die Folgeprobleme für die Spender unterschätzt? Nach internationalen Zahlen kommt es in zehn Prozent bei den Spendern zu einer Proteinurie und/oder Hypertonie.

 Deutsche Registerzahlen hat man noch nicht. Jedoch geht das Aqua-Institut, das im Jahre 2010 Erhebungen über den Outcome der Lebendspender zur Qualitätssicherung für die Kostenträger durchgeführt hat, davon aus, dass bei bis zu 20 Prozent der Spender ein Hypertonus neu aufgetreten ist.

Die Zahlen seien mit Vorsicht zu interpretieren, denn man wisse nicht, ob teilweise auch schon ein vorbestehender Hypertonus mit eingeflossen ist, gibt Banas zu bedenken.

Das Fatiguesyndrom wurde bei fünf Prozent der Spender diagnostiziert. Zu diesem "ernst zu nehmenden Problem" sieht Banas Forschungsbedarf, wenngleich er diese Folgeerscheinung aus eigenen Erfahrungen mit 150 Nierenlebendtransplantationen "eher als Rarität" einstuft.

Aufgeklärt werden muss über dieses Risiko in jedem Fall. Ein standardisierter Musteraufklärungsbogen für die Lebendspende wird derzeit von der Leiterin der "Vertrauensstelle Transplantationsmedizin" an der Bundesärztekammer erarbeitet .

Nachsorge wird nicht vergütet

Die Betroffenenorganisation legt den Finger auf eine weitere Wunde: die unzureichende Nachsorgepraxis für Lebendspender. Das Problem: Die Nachsorge für sie wird bislang nicht vergütet. Eine angemessene Vergütung, die auch die Vorbereitung einschließen müsse, werde dringend gebraucht, fordert Banas.

Zwar sind die Nachsorge-Richtlinien im Transplantationsgesetz bereits enthalten, wurden aber vom GBA noch nicht umgesetzt. Es sollte zumindest gewährleistet sein, dass sich auch die Spender einmal jährlich in den Transplantationszentren zum Gesundheits-Check vorstellen.

Die DGfN wehrt sich angesichts jüngster Medienberichte gegen "pauschale Behauptungen", dass Ärzte immer höhere Risiken bei der Lebend-Organspende eingehen. Sie habe eine hohe Erfolgsquote.

Die Fachgesellschaft fordert schon lange ein Transplantationsregister, "damit auch die Zahlen und Ergebnisse rund um die Transplantation in Deutschland endlich belegbar, einsehbar und valide sind".

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