Ambulante Pflege

Marktpreis als Peitsche zur Minutenpflege

Die viel beklagte Minutenpflege ist nach Darstellung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vor allem eine Folge der Unterfinanzierung ambulanter Dienste. Gefordert werden ein "radikaler Kurswechsel" - und eine Milliarde Euro jährlich mehr.

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BERLIN. Die ambulante Pflege ist chronisch unterfinanziert: Dies ist das Fazit einer Untersuchung, die der Paritätische Wohlfahrtsverband am Donnerstag in Berlin vorgelegt hat.

Nach Berechnungen der Autoren sind im Zeitraum von 1998 bis 2013 die Vergütung ambulanter Pflegeleistungen im bundesweiten Schnitt um 15, die Kosten aber um 70 Prozent gestiegen.

Wollte man diese Entwicklung rückgängig machen, müsste die Vergütung um fast die Hälfte erhöht werden, heißt es in der Expertise. Aus Sicht des Wohlfahrtsverbandes ist die Preisbildung für Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung "in einer Sackgasse angekommen".

Der finanzielle Druck auf die Pflegeleistungen habe zu einer Arbeitsverdichtung für Pflegekräfte geführt, bei der die soziale Dimension dieser Dienstleistungen "hinter einer von Effizienzdruck geprägten (Minuten-) Pflege zu verschwinden droht", heißt es weiter.

Die Finanzierung müsse nach Zeit und nicht mehr nach Pauschalen und Modulen erfolgen, forderte Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes.

Der Verweis, die Vergütungsverhandlungen fänden auf der Landesebene statt, ziehe nicht, so Hesse - der Bund sei gefordert. Er sprach sich dafür aus, auf den Vorsorgefonds in der Pflegeversicherung zu verzichten. Mit einer Milliarde Euro könnten die Pflegevergütungen um mehr als 30 Prozent angehoben werden.

Die gesetzliche Vorgabe, die Pflegevergütung müsse "leistungsgerecht" sein, habe nur auf dem Papier gestanden. Bis 2009 hat auch das Bundessozialgericht (BSG) seine Rechtsprechung aufrecht erhalten, wonach allein der durchschnittliche Marktpreis aller Pflegedienste der Maßstab für die Vergütung sein solle.

Die tatsächlichen sogenannten Gestehungskosten sind dabei unberücksichtigt geblieben, heißt es. Doch auch nach einer geänderten Sprachpraxis des BSG habe sich angesichts der "Verhandlungsübermacht" der Leistungsträger wenig geändert.

Diese beharrten auf ihrem Standpunkt, dass "mehr als nur geringfügige lineare Erhöhungen nicht erforderlich" sind - schließlich seien die Pflegedienste bisher mit den Vergütungssätzen ausgekommen.

Der Modellrechnung des Verbands zufolge sind seit 1998 die Lohnkosten in der ambulanten Pflege um 35,9 Prozent, die Sachkosten um 52 Prozent gestiegen. Die höheren Anforderungen an Pflegequalität und Qualifikation der Beschäftigten wurde mit 20 Prozent Mehrkosten veranschlagt.

Hinzu kommt ein Aufschlag von sechs Prozent auf Lohn- und Sachkosten für das unternehmerische Risiko. Bundesweit werden knapp 600.000 Menschen durch 12.300 ambulante Pflegedienste betreut. Ein ambulanter Dienst pflegt im Schnitt 65 Menschen. (fst)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Satt, sauber und billig

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