Behandlungsfehler

Mehr Beschwerden, weniger bestätigte Fälle

Die Zahl der Behandlungsfehler in Deutschland ist gesunken - und das, obwohl mehr Verdachtsfälle gemeldet worden sind. Das gab der MDK bekannt. Der Umgang mit Kunstfehlern fällt offenbar noch vielen schwer, wie die Reaktionen auf die Zahlen zeigen.

Von Martina Merten Veröffentlicht:

BERLIN. Rund 14.600 Mal haben die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) 2013 ein Gutachten bei vermuteten Behandlungsfehlern erstellt - 2000 mehr als noch 2012. Und rund 3700 Mal kam der MDK in seiner Jahresstatistik 2013 zu dem Ergebnis, dass ein Behandlungsfehler vorliegt.

Damit ist die Zahl der bestätigten Fehler im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent zurückgegangen, hieß es bei der Vorstellung der Zahlen am Dienstag in Berlin.

Gestiegen ist dagegen die Anzahl der Patienten, die sich mit einem Fehlerverdacht an den MDK gewendet haben. Mit 14.585 lag die Zahl der Anträge um 17 Prozent höher als ein Jahr zuvor.

Auswirkungen des Patientenrechtegesetz

"Das führen wir auch auf das Patientenrechtegesetz zurück", betonte Dr. Stefan Gronemeyer, Leitender Arzt und Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen.

Das 2013 in Kraft getretene Gesetz hat den Anspruch der Versicherten auf Unterstützung und Aufklärung von vermuteten Behandlungsfehlern gestärkt. Kassen sind seither verpflichtet, ihren Versicherten bei vermuteten Behandlungsfehlern zu helfen.

"Angesichts von 18 Millionen Behandlungsfällen in den Kliniken und 700 Millionen Fällen im ambulanten Bereich bewegen sich die MDK-Zahlen und auch die der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen im Promillebereich", betonte BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery.

Nicht nur der MDK, auch die ärztlichen Gutachterkommissionen- und Schlichtungsstellen der Ärztekammern geben jährlich eine Behandlungsfehlerstatistik heraus, die nächste im Juni.

Bei rund 8000 Entscheidungen haben diese Stellen knapp jeden dritten Antrag (30 Prozent) als Behandlungsfehler anerkannt, hat die Bundesärztekammer vorab mitgeteilt.

Die Gesamtzahl aller Fehler in Deutschland ist allerdings nicht bekannt; das Bundesgesundheitsministerium geht von 40.000 bis 170.000 Fehlern jährlich aus.

Ein Großteil der Patientenvorwürfe - 70 Prozent - betraf Behandlungen in Krankenhäusern. Nur 30 Prozent bezogen sich auf Behandlungen bei niedergelassenen Ärzten. In absoluten Zahlen waren dies 4402 Vorfälle, überwiegend in der Chirurgie.

Experten fordern stärkere Sicherheitskultur statt Streit

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht durch die neuen Zahlen bestätigt, dass die vom AOK-Bundesverband behaupteten 19.000 Toten aufgrund vermeidbarer Behandlungsfehler "endgültig als unseriös entlarvt" worden seien.

Wenn aus dem Vorstand des AOK-Bundesverbandes dennoch erklärt werde, dass der Kliniksektor zu wenig am Bedarf und am Nutzen für die Patienten orientiert ist, zeuge dies von einer fortgesetzten Konfrontationskultur der AOK, kritisierte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum.

Eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern forderte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Ärzte sind Menschen. Und Menschen machen Fehler. Wichtig ist, daraus zu lernen", sagte Spahn. "Patienten, Pfleger und Ärzte profitieren, wenn Fehler nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden."

Er nahm die Zahlen des MDK zum Anlass, auf das von der Bundesregierung geplante Qualitätsinstitut hinzuweisen. Mit Hilfe des Instituts könnten alle notwendigen Daten zur Qualitätssicherung zusammengeführt, ausgewertet und veröffentlicht werden.

Eine solche Fehler- und auch Sicherheitskultur strebt auch das 2005 von verschiedenen Akteuren aus dem Gesundheitswesen gegründete Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) an.

"Unter Sicherheitskultur verstehen wir einen Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen und Werten bei allen Akteuren der gesundheitlichen Versorgung", unterstrich APS Geschäftsführer Hardy Müller.

Personalmangel könnte eine Ursache sein

Als eine wesentliche Ursache für Fehler nannte Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, den Personalmangel in den Kliniken. "Mangelnde Hygiene, Verwechslungen bei Medikamenten und andere Nachlässigkeitsfehler kommen umso häufiger vor, je mehr Zeitdruck das Personal hat, sagte Weinberg. An diesem Zeitdruck änderten auch von SPD und CDU geplante Qualitätsinstrumente nicht viel, so der Linken-Sprecher.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz machte sich vor dem Hintergrund der MDK-Statistik für eine bessere Hilfe der Opfer von Behandlungsfehlern stark. "Um die größte Not der geschädigten Patienten zu lindern, brauchen wir einen Härtefall-Fonds", sagte Vorstand Eugen Brysch der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Um diesen zu finanzieren, seien 200 Millionen Euro notwendig.

Für einen Fonds plädieren auch die Grünen. "Wir halten einen Haftungsfonds für Fälle mit schwerwiegenden Schäden, aber unklarer Verursachungslage für notwendig", so Sprecherin Maria Klein-Schmeink.

Karl-Josef Laumann, der Pflegebeauftragte der Bundesregierung sagte: "Jeder Behandlungsfehler ist ein Behandlungsfehler zu viel. Daher müssen sich alle Beteiligten nachhaltig dafür einsetzen, Fehler zu vermeiden. Und: Wenn jemand in seinem Beruf einen Fehler macht, dann muss er dafür auch einstehen und daraus lernen. Wir sollten die Probleme weder bagatellisieren noch skandalisieren."

Er forderte eine Sicherheitskultur auf höchstem Niveau. "In allen medizinischen Bereichen muss ein effektives Risikomanagement eingeführt und vor allem auch konsequent umgesetzt werden. Checklisten und Standards gehören für viele Berufstätige zum Alltag. Sie sollten auch im Gesundheitswesen noch stärker genutzt werden."

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