Missbrauch - Herausforderung für Ärzte

Eine Tagung in Dresden beschäftigt sich mit Gewalt in der Familie. Eine Forderung an die Mediziner: Sensibilität.

Von Thomas Trappe Veröffentlicht:

DRESDEN. Männer waren bei der Eröffnung der Vortragsreihe "Heile Familie? Gewalt gegen Partner und Kinder" im Deutschen Hygienemuseum in Dresden deutlich in der Minderheit. Wenn "auch Männer Opfer seien können", wie die sächsische Sozialministerin Christine Clauß in ihrer Eröffnungsrede betonte, spricht die Statistik eine ebenso deutliche Sprache wie die Publikumszusammensetzung. So wurde nach den Zahlen des Ministeriums jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt. Bei Männern könne man von Einzelfällen sprechen.

Dokumentation muss notfalls gerichtsfest sein

Wie erkennt der Arzt, ob ein Patient gestürzt ist oder doch geschlagen wurde, misshandelt, sexuell missbraucht? Hilfestellung bei diesen Fragen zu geben, das war das Anliegen des ersten Vortrags in der fünfwöchigen Reihe, in der die sächsische Landesärztekammer als Mitorganisator auftritt. Schließlich ist der Arzt für viele Opfer der erste, wenn nicht gar der einzige Ansprechpartner, der im entscheidenden Moment gut vorbereitet sein sollte. Immerhin, auch das eine Statistik aus dem Ministerium, dauert es durchschnittlich sieben Jahre, bis ein Opfer um Hilfe bittet.

"Wir haben eine besondere Verantwortung", appellierte Dr. Christine Erfurt vom Institut für Rechtsmedizin der TU Dresden an ihre Ärztekollegen. Entschließe sich ein Arzt beispielsweise, seine Schweigepflicht gemäß Paragraf 34 des Strafgesetzbuches zu brechen, müsse er auch besonders sorgfältig Verletzungen dokumentieren. Schließlich könne es später zum Beispiel darum gehen, ob Eltern das Kind entzogen wird oder ein Partner ins Gefängnis kommt. Außerdem müsse eine Dokumentation in einer möglichen Gerichtsverhandlung bestehen. So reiche es nicht aus, "Prellmarken am ganzen Körper" zu notieren, nannte Christine Erfurt ein häufig erlebtes Beispiel. Vielmehr müsste die Lokalisierung, Beschaffenheit, Form und Farbe von Flecken festgehalten werden. Auch die konkrete Uhrzeit der Untersuchung und die anwesenden Personen sollten unbedingt vermerkt werden.

Welche Indizien sprechen für Misshandlungen?

Eindeutige Indizien bei Misshandlungen und Missbrauch gibt es laut Christine Erfurt nicht. "Jeder Fall ist anders." Am ehesten zu erkennen seien physische Misshandlungen, wesentlich schwerer sexueller Missbrauch. Aufmerksam sollte der Arzt werden, wenn er beim Patienten eine Vielzahl von Verletzungen sieht, vor allem, wenn diese aus unterschiedlichen Zeiträumen stammen. Auch ein häufiger Wechsel des Hausarztes könne auf Misshandlungen oder Missbrauch hindeuten, weiterhin eine auffällige Reduzierung des körperlichen Zustands. Häufig zeigten sich zudem deutliche Diskrepanzen zwischen den Erklärungen der Patienten und den Befunden.

Ärzte, die bei ihren Patienten Gewalteinwirkungen vermuten, wird ein hohes Maß an Sensibilität abverlangt, hieß es unisono von den Referenten. Dr. Julia Schellong vom Traumanetz Sachsen erklärte, dass Betroffene eine Mischung diverser Ängste zum Schweigen veranlasst. Nicht wenige fühlten sich mitschuldig, einige glaubten, sie wären die einzigen Betroffenen. Neben Verdrängung und Resignation spielte auch die Angst vor einer weiteren Gewalteskalation eine Rolle. Kurz: Es sei am Arzt, den ersten Schritt zu machen. "Die meisten Opfer wünschen sich, angesprochen zu werden", so Julia Schellong.

Eltern stimmen Untersuchungen meist zu

Christine Erfurt machte zum Abschluss der Eröffnungsveranstaltung noch auf ein Phänomen aufmerksam, wenn es um die Feststellung von Misshandlungen bei Kindern geht. Zwar sei vor einer Untersuchung die Einwilligung der Eltern nötig. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit sei das meist aber kein Problem. Fast immer hätten ihrer Erfahrung nach Eltern misshandelter Kinder der Untersuchung vorher zugestimmt. Das gelte sogar bei Fällen sexuellen Missbrauchs.

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