Arzneimittelverordnung

Möglicher Konflikt zwischen Freiheit und Erkenntnisziel

Der GBA arbeitet derzeit an einer Verfahrensordnung, um den Gesetzesauftrag zu erfüllen, anwendungsbegleitend Datenerhebungen zur Generierung besserer Evidenz über bestimmte neue Arzneimittel verlangen zu können. Das kann die Therapiefreiheit von Ärzten beschränken.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Professor Alexander Ehlers und Dr. Christian Rybak.

Professor Alexander Ehlers und Dr. Christian Rybak.

© Ehlers, Ehlers & Partner

Ärzte Zeitung: Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, bei der die Verordnung mancher neuer Arzneimittel auf bestimmte Ärzte beschränkt werden kann – auf solche, die sich an weiteren Datenerhebungen nach einer Nutzenbewertung beteiligen und dies auch können. Ist das ein Eingriff in die Therapiefreiheit?

Alexander Ehlers: Die anwendungsbegleitenden Datenerhebungen sollen für bestimmte Arzneimittel durch den GBA veranlasst werden können, die eine besondere arzneimittelrechtliche Zulassung – Arzneimittel mit bedingter Zulassung, Arzneimittel mit Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen sowie Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens – erhalten haben oder bei denen die Datengrundlage aufgrund der Seltenheit der Erkrankung nur sehr gering ist.

Es ist grundsätzlich nachvollziehbar, dass in besonders gelagerten Einzelfällen anwendungsbegleitende Datenerhebungen insbesondere in Form klinischer Register durchgeführt werden sollen. Hier besteht auch weitestgehend Einigkeit.

Aus juristischer Sicht ist eine Einschränkung der Versorgung von Patienten mit den betroffenen Arzneimitteln selbstverständlich zunächst erst einmal ein Eingriff. Die Frage ist, ob ein solcher Eingriff begründet sein kann.

Wie lässt sich dieser Eingriff begründen?

Christian Rybak: Es ist – wie Sie richtig andeuten – fraglich, ob es sachgerecht sein kann, Ärzten, die an der veranlassten Datenerhebung nicht teilnehmen wollen oder nicht können – zum Beispiel wenn der Patient der Erhebung und Übermittlung seiner Daten nicht zustimmt – die Versorgung mit diesem Arzneimittel zu verbieten. Dass hiermit die Rechte des Patienten in erheblicher Weise, aber eben auch die ärztliche Therapiefreiheit und das Arzt-Patienten-Verhältnis berührt sind, liegt auf der Hand, wobei es zumindest zweifelhaft ist, ob diese Eingriffe auch tatsächlich gerechtfertigt sind. Zumal die ICH GCP E6-Guideline der Europäischen Union, Japans und der USA festlegen, dass Personen frei und unbeeinflusst darüber entscheiden können sollen, ob sie an einer Untersuchung wie beispielsweise einer Registerstudie teilnehmen wollen oder nicht.

Aus juristischer Sicht ist eine Einschränkung der Versorgung von Patienten mit den betroffenen Arzneimitteln selbstverständlich zunächst erst einmal ein Eingriff. Die Frage ist, ob ein solcher Eingriff begründet sein kann.

Professor Alexander Ehlers, Partner der auf Medizin-, Pharma- und Luftfahrtrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Ehlers, Ehlers & Partner

Die Teilnahme an einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung sollte folglich idealerweise für Vertragsärzte wie für Patienten freiwillig bleiben. Dies ist jedoch gerade in den betroffenen Fällen problematisch. Aufgrund der geringen Fallzahlen wird mit der ansonsten fehlenden Aussagekraft der Daten argumentiert. Des Weiteren besteht gerade bei kleinen Patientengruppen durch eine Wahlentscheidung von Patienten ein erhebliches Verzerrungspotential für Studienergebnisse, denn häufig unterscheiden sich die teilnehmenden Patienten in ihren Charakteristika von nicht-teilnehmenden Patienten.

Die Einschränkung kann in Einzelfällen geboten sein. Kritisch zu sehen bleibt jedoch, dass der Anwendungsbereich von Paragraf 35 Absatz 3b verhältnismäßig weit gefasst wurde.

Das Ergebnis der Nutzenbewertung steht meist etwa sechs Monate nach Inverkehrbringen des neuen Arzneimittels fest. Was ist, wenn Ärzte dieses Medikament schon verordnen, dann aber vom Bundesausschuss als Verordner ausgeschlossen werden?

Ehlers: Die vorgesehene Einschränkung der Verordnungsbefugnis wird voraussichtlich den Zugang von Patienten zu den entsprechenden Arzneimitteln erschweren. Patienten mit seltenen Erkrankungen müssten sich gegebenenfalls einen anderen Spezialisten suchen, der sich an der Datenerhebung beteiligt, um die Therapie zu erhalten. Dies geht natürlich zulasten einer wohnortnahen flächendeckenden Versorgung.

Viel problematischer ist der Fall, wie zu verfahren ist, wenn zum Beispiel ein Patient mit einer seltenen Erkrankung aus Sorge vor einer Identifizierung seine Zustimmung zur Registerstudienteilnahme oder zur Datenauswertung nicht erteilt. Die Freiheit des Patienten, über die Registerstudienteilnahme ohne Nachteile zu entscheiden, würde faktisch beendet.

Hier stellt sich die Frage, ob gegebenenfalls eine Härtefallregelung greifen müsste, denn grundsätzlich besteht ja ein Anspruch des Patienten auf Versorgung.

Sie begleiten ja als Fachjurist viele Nutzenbewertungen. Wie häufig, glauben Sie, wird diese neue Regelung greifen?

Rybak: Die Regelung ist relativ weit gefasst, sodass großzügigen Schätzungen zufolge je nach Betrachtungsweise derzeit bis zu einem Drittel aller AMNOG-Medikamente betroffen sein könnte – zumindest in der Theorie. Diese Fallzahlen werden wir in der Praxis jedoch - vorläufig zumindest - nicht sehen.

Offenbar geht jedoch auch die Bundesregierung selbst von einer relativ breiten Anwendung der Regelung aus. Bei der Aufwandsabschätzung in der Gesetzesbegründung wird von neun bis zehn Beauflagungen des GBA pro Jahr ausgegangen.

Unter welchen Voraussetzungen wird dies der Fall sein?

Ehlers: Umfang und Art der Auflagen werden grundsätzlich ins Ermessen des G-BA gestellt, eine klare Anleitung des Gesetzgebers besteht insoweit nicht. Die tatsächlichen Voraussetzungen und somit auch die Fallzahlen werden also auch davon abhängen wie der GBA agiert. Es ist jedoch zu erwarten, dass es sich bei der Anwendung eher um eine Ausnahme als die Regel handeln wird.

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