Palliativmedizin weiter in der Warteschleife

Um den neuen Anspruch der Versicherten auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) flächendeckend umzusetzen, sind einzelvertragliche Lösungen der falsche Weg.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Eine Frau besucht ihre Freundin in einem Stuttgarter Hospiz: Künftig sollen mehr todkranke Menschen auch zu Hause in Würde sterben können.

Eine Frau besucht ihre Freundin in einem Stuttgarter Hospiz: Künftig sollen mehr todkranke Menschen auch zu Hause in Würde sterben können.

© Foto: imago

Davon zeigten sich die meisten Referenten bei den 70. Aachener Hospizgesprächen überzeugt, die von der Aachener Servicestelle Hospiz und dem Pharmaunternehmen Grünenthal organisiert wurden.

"Wir halten dieses Feld nicht für den Wettbewerb geeignet", sagte Dr. Carl-Heinz Müller, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Einen Wettbewerb um Qualität dürfe es bei der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender nicht geben. "Die Qualität sollte in allen Verträgen gleichbleibend gut sein", sagte Müller. Auch ein Verhandeln über Preise sei in der Palliativmedizin fehl am Platz.

KBV rechnet nicht mit einer bundeseinheitlichen Lösung

Müller ist skeptisch, dass es zu bundesweiten kassenartenübergreifenden Verträgen kommen wird. "Wenn es auf Landesebene einheitliche Lösungen geben würde, wäre schon viel erreicht." Leider sei seit der gesetzlichen Verankerung der SAPV im vergangenen Jahr schon viel Zeit verloren gegangen, beklagte er.

Der KBV-Vorstand warb erneut dafür, die Umsetzung der SAPV nicht durch zu hohe Qualitätsanforderungen für die teilnehmenden Ärzte zu gefährden. Die entsprechenden Empfehlungen des GKV-Spitzenverbands - der Nachweis einer 160-stündigen Fortbildung und der Versorgung von mindestens 75 Palliativpatienten innerhalb der vergangenen drei Jahre - seien aus Sicht der KBV problematisch.

"Das stellt gerade in ländlichen Gebieten eine zu hohe Hürde dar", sagte Müller. Er plädierte dafür, für die Qualitätsvoraussetzungen eine Übergangsfrist zu vereinbaren und außerdem Hausärzte, die eine 40-stündige Fortbildung in der Palliativmedizin absolviert haben, als Partnerärzte in die Versorgung einzubeziehen. "Dafür gibt es ein großes Interesse bei den Hausärzten."

Der Gesetzgeber habe bewusst einzelvertragliche Lösungen zugelassen, berichtete Dr. Matthias von Schwanenflügel aus dem Bundesgesundheitsministerium. "Wir wollten, dass sich schnell etwas tut." Einzelverträge gäben den handelnden Akteuren mehr Flexibilität. "Wenn einzelne Kassen vorpreschen wollen, könnten sie das tun." Das Gesetz lasse aber auch die Möglichkeit kollektivvertraglicher Lösungen zu. "Es geht darum, das Gesetz effizient und zügig umzusetzen", sagte von Schwanenflügel. Bislang sei Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt mit der Entwicklung allerdings nicht zufrieden, betonte er.

"Es ist meine Sorge, dass wir zu vielen völlig unterschiedlichen Verträgen kommen", sagte Dr. Birgit Weihrauch, Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands. Sie begrüßte, dass die Beteiligten in Nordrhein und in Westfalen-Lippe nach einem landesweiten Konzept suchen.

Palliativmedizin und Hospize stehen vor Weichenstellung

Die Hospizbewegung und die Palliativmedizin in Deutschland stünden vor grundlegenden Weichenstellungen. Die Pionierphase sei inzwischen weitgehend abgeschlossen. "Mit der Umsetzung der SAPV geht es jetzt um den systematischen, flächendeckenden Ausbau der Strukturen zur Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen", so Weihrauch. Hospizbewegung und Palliativmedizin müssten dabei Hand in Hand arbeiten. Leider gebe es zwischen den Vertretern beider Bereiche große Vorbehalte. "Wir können uns hier überhaupt keine Grenzen leisten", sagte Weihrauch.

"Wir müssen in unserem fragmentierten System alle zusammenbringen", forderte auch Professor Raymond Voltz, Direktor des Zentrums für Palliativmedizin an der Universitätsklinik Köln und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Es sei wichtig, die SAPV nicht isoliert zu betrachten und die allgemeine ambulante Palliativversorgung sowie die stationäre Betreuung der Patienten nicht aus dem Blick zu verlieren. "Wir brauchen einen Gesamtplan", forderte Voltz. Bei der spezialisierten ambulanten Versorgung müsse die Umsetzung durch ein qualifiziertes Team im Vordergrund stehen, sagte er.

An "warmen Worten" fehle es nie, wenn es um Palliativmedizin und Hospize gehe. "Wir müssen uns fragen, warum eine gute Gesetzesinitiative bis jetzt nicht bei den Menschen angekommen ist", kritisierte er.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Gesetze gelten auch für Krankenkassen

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