Künstliche Ernährung

Patientenverfügung schützt vor qualvoller Übertherapie am Lebensende

Weil niemand den Mut hat, die Magensonde zu entfernen, verbringt ein schwerstkranker Demenzpatient seine letzten Jahre in qualvoller Regungslosigkeit. Der Fall macht deutlich, welches Leid eine Patientenverfügung ersparen kann.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Eine Kerze in einem Hospiz in München erinnert an einen gestorbenen Bewohner.

Eine Kerze in einem Hospiz in München erinnert an einen gestorbenen Bewohner.

© Tobias Hase / dpa

Ein alter Mann, schwer dement und bewegungsunfähig, wird sechs Jahre lang mit künstlicher Ernährung über eine Magensonde am Leben erhalten, bevor er schließlich im Alter von 72 Jahren eines "natürlichen Todes" stirbt. Eine Patientenverfügung lag nicht vor. Sein Fall gelangt vor die Arzthaftungskammer, weil der im Ausland lebende Sohn des Verstorbenen dem behandelnden Hausarzt vorwirft, das Leiden des Vaters unnötig verlängert zu haben.

Mitte Januar hat das Landgericht München I die Klage des Sohnes auf Schmerzensgeld und Entschädigung abgewiesen, mit der Begründung, der Kläger habe nicht nachweisen können, dass sich sein Vater gegen die Sondenernährung entschieden hätte.

Aber: Der Richter konstatiert auch, dass der Arzt einen Behandlungsfehler begangen habe. Er habe den Betreuer nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein über die reine Lebensverlängerung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr zu erreichen gewesen wäre. Für die künstliche Ernährung habe keine Indikation mehr bestanden.

Das letzte Wort in diesem Fall ist noch nicht gesprochen: Der Anwalt des Sohnes, der Münchner Medizinrechtsexperte Wolfgang Putz, hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Das Entscheidende in diesem Fall ist nicht die Höhe der Schadensersatzforderung, und ob ihr letztlich stattgegeben werden wird oder nicht. Entscheidend ist vielmehr: Hat der Arzt im Sinne seines Patienten gehandelt?

Indikation der PEG-Sonde ist fortwährend zu prüfen

Zunächst ist ein Arzt nicht grundsätzlich, sondern nur innerhalb des Patientenwillens dazu verpflichtet, Leben zu erhalten. Der ärztliche Eingriff stützt sich, wie Putz 2015 auf dem Bayerischen Internistenkongress erläutert hat, grundsätzlich auf zwei Säulen: den Patientenwillen und die Indikation. Dabei sticht der Wille des Patienten die Indikation, und zwar selbst in Fällen, in denen eine medizinische Maßnahme absolut indiziert wäre.

Viel Unsicherheit gibt es bei Patienten, deren Wille sich nicht ermitteln lässt, zum Beispiel weil sie an Demenz leiden oder im Koma liegen. Hier ist es laut Putz wichtig zu wissen, dass auch die Fortsetzung einer Therapie der Indikation bedarf. Es sei wie mit der Verordnung eines Antibiotikums: "Das geben Sie doch auch nicht bis zum Lebensende!" Auch bei der PEG-Sonde oder der künstlichen Beatmung müsse fortwährend geprüft werden, ob sie noch indiziert ist. Putz selbst war in einem Fall verklagt, aber letztlich vom BGH freigesprochen worden, nachdem er veranlasst hatte, dass die Magensonde einer 77-jährigen Wachkomapatientin durchtrennt wurde.

Auch der Palliativmediziner und Buchautor Dr. Matthias Thöns aus Witten sieht in der Sondenernährung bei schwerstdementen Patienten eine Fehlbehandlung. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie fordert für solche Fälle, dass neben dem (vermuteten) Patientenwillen immer auch die allgemeine Prognose berücksichtigt werden soll. Darin folgen die Experten einer internationalen Leitlinie zur Ernährung bei Demenz (Clin Nutrition 2015; 34: 1052).

Im vorliegenden Fall war die Prognose infaust, der Patient lag mit steifer, unbeweglicher Muskulatur im Liegerollstuhl, hatte Drucknekrosen, jammerte, wenn er angesprochen wurde, und musste wiederholt wegen Lungenentzündung ins Krankenhaus. Da sich nicht ermitteln ließ, ob er so weiterleben wollte oder nicht, musste jemand für ihn entscheiden. Der Hausarzt hat die Entscheidung getroffen, ihn trotz offenkundiger Qualen am Leben zu erhalten.

Auch Ärzte haben Angst vor dem Tod. Viele neigen dazu, ihn mit allen Mitteln, die die moderne Medizin zur Verfügung stellt, zu bekämpfen. Das ist bei Menschen, die sich dem Helfen verschrieben haben, fast ein natürlicher Reflex. Bei allem Vertrauen in die ärztliche Kunst, das in sehr vielen Fällen gerechtfertigt ist – als Patient muss man sich manchmal vor diesem Reflex schützen.

Nur jeder Vierte hat eine Patientenverfügung

Es ist erschreckend, wie viele Menschen – ohne darüber nachzudenken – die Entscheidung, wie sie sterben wollen, in die Hände anderer legen. Laut Allensbach-Institut hat nur etwa jeder Vierte seinen Willen schriftlich festgehalten. Aber wer kann schon sicher sein, dass einem in den letzten Stunden ein ebenso mitfühlender wie beherzter Arzt zur Seite steht, der die im Sinne seines Patienten richtigen Entscheidungen trifft?

Ärzte können ihren Patienten helfen, indem sie ihnen ans Herz legen, beizeiten mit einer Patientenverfügung vorzusorgen. Dabei muss sichergestellt sein, dass diese im Ernstfall greift. Im Juli 2016 hat der BGH entschieden, dass sich eine Patientenverfügung auf konkrete Maßnahmen oder konkrete Krankheiten beziehen muss. Es genügt also nicht mehr, sich pauschal gegen lebensverlängernde Maßnahmen auszusprechen.

Das Grundgerüst für eine rechtskräftige Patientenverfügung kann zum Beispiel eine Broschüre des Justizministeriums liefern. Der Tod ist unausweichlich, und er ist normal. Stecken wir also nicht den Kopf in den Sand à la Woody Allen, der gesagt hat: "Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich möchte nur nicht dabei sein, wenn er kommt."

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