Leitartikel zum ÖGD

Rettet die "Hausärzte fürs Volk"!

Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) blutet aus: Die Zahl der Fachärzte sinkt, die Überalterung nimmt zu, junge Ärzte scheuen den Beruf im Amt. Ändert sich daran nichts, können sich die Politiker ihre Präventionsstrategien schenken. Gut, dass sich der Ärztetag jetzt um den ÖGD kümmert.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Schuleingangsuntersuchung vor zehn Jahren in der Pfalz: Wo geht die Reise hin für den ÖGD?

Schuleingangsuntersuchung vor zehn Jahren in der Pfalz: Wo geht die Reise hin für den ÖGD?

© Thomas Frey / imago

Der 117. Ärztetag hatte noch gar nicht begonnen, da stand die Marschrichtung schon fest: Mehr Skepsis bei so mancher Früherkennungsuntersuchung verlangte Ärztetagspräsident Professor Frank Ulrich Montgomery mit Blick vor allem auf Krebsscreenings. Die würden die Mortalität oft nur marginal senken, und außerdem erreichten diese Programme ohnehin nur jene Menschen, die sich sowieso um ihre Gesundheit kümmern.

Gerne hätte man in demselben Medienbericht hinterhergerufen: "Aber es gibt doch Präventionsprogramme gerade für diejenigen, die sich vielleicht nicht so sehr um ihre Gesundheit kümmern - etwa Schuleingangsuntersuchungen." Und damit hätte man das zweite wichtige Thema des Ärztetags aufgegriffen: den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), dessen ureigenes Thema die Prävention ist.

Der ÖGD hat mehr Gehör bitter nötig, um mit Mythen aufzuräumen und zu zeigen, was die Amtsärzte eigentlich leisten - aber immer öfter nicht mehr leisten können. Denn die Amtsmedizin fährt zunehmend vor die Wand, wie Berichte aus diversen Gesundheitsämtern beweisen. Die Probleme: Überalterung und fehlender Nachwuchs, miserable Bezahlung - Hausärzte kennen das aus ihrem eigenen Fach.

Hinzu kommen bei den Amtsärzten noch Vorurteile, auch unter Kollegen. Nicht selten werden sie verschrien als Verwaltungsärzte oder Bürokraten, die mit Meldepflichten und Hygieneauflagen ihre kurativ tätigen Kollegen gängeln. Aufklärung tut Not.

Wahlen gewinnt man nicht mit Amtsarzt-Stellen

Deswegen noch einmal zurück zur Schuleingangsuntersuchung: Sie ist Exempel par excellence für Prävention, die in Lebenswelten ansetzt. Krankheiten, Sprachprobleme, Impflücken, Haltungsschäden, drohende Adipositas, Karies - all das können Amtsärzte bei der SEU aufdecken.

Sie erreichen selbst Kinder, deren Eltern es womöglich nicht so genau mit der Gesundheit ihrer Schützlinge nehmen. Doch das System wankt. Man muss nur nach Bayern schauen, wo auf die ärztliche SEU verzichtet wird. Den Job übernehmen in der Regel Kinderkrankenschwestern.

Auch der Blick in andere Bundesländer zeigt, wie an den Vorsorgen in der Schule gerüttelt wird. In Berlin klagen Experten, die Untersuchungen würden viel zu spät stattfinden.

Das Problem: Personalmangel. In Magdeburg muss das Gesundheitsamt eine Jahrgangsuntersuchung komplett streichen. Denn es findet sich kein neuer ÖGD-Arzt für die freie Stelle.

All diese Engpässe sind hausgemacht - von Politikern klammer Kommunen, die Stellen in ihren Gesundheitsämtern streichen, und die sich seit Jahren in den Tarifverhandlungen weigern, den Amtsärzten ein wenigstens ansatzweise gleiches Tarifgehalt zu gewähren, wie es deren Klinikkollegen vergönnt ist.

Den Wahlkampf um das Bürgermeisteramt gewinnt man vor Ort eben nicht mit Amtsarztstellen, sondern mit der nächsten Umgehungsstraße.

Mit diesem Sparkurs hat sich die Politik auf gefährliches Terrain begeben. Sie betreibt Raubbau an der Bevölkerungsmedizin, neben Klinikern und Niedergelassenen die dritte ärztliche Säule unseres Gesundheitswesens. Doch was, wenn dieser Versorgungsbereich weiter bröckelt, in manchen Kommunen womöglich bald gänzlich zur Disposition gestellt wird?

Nicht nur die Schuluntersuchungen wären dann obsolet. Auch der Kinderschutz würde massiv leiden. Ob niedergelassene Kinderärzte diese Lücke werden füllen können, darf man bezweifeln.

Prävention braucht Bevölkerungsmedizin

Und wer kontrolliert dann, wenn der ÖGD nur noch Geschichte ist, all unsere Krankenhäuser auf die Hygienestandards? Wer hat dann die ganzen KRINKO-Empfehlungen (der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention) im Kopf und gibt den Kollegen in Klinik und Praxis Tipps, wie sich Infektprävention leicht umsetzen lässt? MRSA und Co. treiben mittlerweile selbst Politiker um. Man sollte deshalb meinen, bei ihnen gäbe es ein Umdenken.

Weit gefehlt: In Berlin fehlen zig Amtsarztstellen im Infektionsschutz - und das, obwohl der Klebsiellen-Skandal an der Charité gerade einmal ein Jahr her ist. Und ohne Amtsärzte müsste man bei der nächsten Schweinegrippe, wahlweise einem Masern-, EHEC- oder Norovirus-Ausbruch, erst einmal eine geeignete medizinische Struktur finden, die nicht nur massenpräventiv mit Reihenimpfungen tätig wird, sondern auch Epidemien aufklären kann.

Ohne den ÖGD würden auch die humanitären Sprechstunden fehlen, also Allgemeinmedizin von Amtswegen für Menschen ohne Papiere. Sie wären ebenso Anekdoten für die Geschichtsbücher, wie amtsärztliche Gutachten, Trinkwasserhygiene, Präventionskurse, HIV-Beratungsstellen und Gesundheitsberichterstattung, um nur einiges zu nennen.

Wer die Prävention im Land ausbauen will, braucht Bevölkerungsmedizin. Und die funktioniert nicht ohne Amtsärzte. Sie sind quasi "Hausärzte fürs Volk", nicht kurativ, aber mit einem ärztlich-präventiven Blick auf die Leiden der Massen. Gratulation deswegen an den Ärztetag, sich dem ÖGD anzunehmen.

Den Delegierten mag man ein glückliches Händchen wünschen für gute Anträge, die den ÖGD stärken könnten. Zahlreiche gute Ideen dafür liegen seit Jahren auf dem Tisch.

Die Stichworte dafür reichen von der Approbationsordnung, in die Famulaturen und das Praktische Jahr in Gesundheitsämtern aufgenommen werden könnten, bis hin zur Weiterbildungsordnung, in der manche Amtsärzte gerne eine Pflichtabschnitt ÖGD für manche Fachgebiete aufnehmen würden.

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