Barmer-Pflegereport

Rückenleiden und Depressionen: Hoher Krankenstand bei Altenpflegekräften

Mehr Fehltage, mehr Frühverrentungen: Die Arbeitssituation in der Altenpflege greift die Gesundheit vieler Beschäftigter massiv an, resümiert der neue Pflegereport der Barmer. Die Träger müssten mehr in betriebliche Gesundheitsvorsorge investieren.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht: | aktualisiert:
Altenpflege geht auf den Rücken, etwa durch das Heben der Pflegepersonen im Bett.

Altenpflege geht auf den Rücken. Das bestätigt auch der neue Barmer Pflegereport.

© CHW / stock.adobe.com

Berlin. Pflege geht auf die Knochen und belastet die Seele. Altenpflegekräfte werden daher von Ärzten häufiger krankgeschrieben als Beschäftigte anderer Branchen. Das geht aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten „Pflegereport“ der Barmer hervor.

Für die Studie wertete die Krankenkasse im Zeitraum 2016 bis 2018 Versichertendaten von Beschäftigten im Langzeitpflegebereich im Alter zwischen 15 und 64 Jahren aus. Dabei wurden insgesamt 8,6 Millionen Versichertenjahre berücksichtigt.

Laut Report fehlte jede krankgeschriebene Altenpflegefachkraft im Schnitt 18,6 Tage und damit 40 Prozent länger als Beschäftigte sonstiger Berufe (13,3 Fehltage). Altenpflegehilfskräfte fehlten krankheitsbedingt sogar mehr als 20 Tage (siehe nachfolgende Grafik).

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Muskuloskelettale Erkrankungen weit verbreitet

„Pflegekräfte haben vor allem lange Fehlzeiten wegen psychischer Probleme und Muskel-Skelett-Erkrankungen“, sagte Studienautor Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen. Altenpflegekräfte wiesen etwa 80 bis 90 Prozent mehr AU-Tage wegen Depressionen auf als andere Erwerbstätige. Rückenleiden verursachten bei Altenpflegekräften knapp 96 Prozent und bei Hilfskräften 180 Prozent mehr Fehltage. Das Bild zeige sich „unisono“ für Frauen wie Männer.

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Auch bekämen Altenpflegekräfte sehr viel öfter als Beschäftigte anderer Branchen Opioide und Antidepressiva verordnet, berichtete Rothgang. Die Verordnungshäufigkeit bei den Schmerzmitteln liege um bis zu 131 Prozent, die bei Antidepressiva um etwa 50 Prozent höher als bei anderen Erwerbstätigen.

Außer körperlichen Belastungen mache Altenpflegern vor allem der Zeitdruck zu schaffen, sagte Rothgang unter Verweis auf Befragungen zur Arbeitszufriedenheit. Mehr als die Hälfte der Altenpfleger berichte von häufigen Vorschriften bezüglich Mindestleistung oder der Zeit, in der Tätigkeiten verrichtet sein müssen. In anderen Berufen gibt das nur ein Viertel der Beschäftigten an.

Mehr und längere Krankenhausaufenthalte

Laut Barmer-Report werden Pflegekräfte auch öfter und länger stationär behandelt: Während auf Altenpfleger im Untersuchungszeitraum knapp zwei Krankenhausaufenthalte entfielen, waren es bei Beschäftigen anderer Branchen 1,4. Mussten sich Altenpflegekräfte im Schnitt 10,6 Tage stationär behandeln lassen, verbrachten andere Erwerbstätige acht Tage in der Klinik.

„Die Arbeitssituation in der Pflege greift die Gesundheit der Beschäftigten massiv an“, sagte Barmer-Chef Professor Christoph Straub. Blieben Altenpflegekräfte der Arbeit krankheitsbedingt fern, seien Kollegen zusätzlich belastet. Damit steige wiederum die Gefahr, dass auch sie erkrankten.

„Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen, zumal die Corona-Pandemie die angespannte Arbeitssituation der Pflegekräfte noch einmal verschärft.“ Anfang November sei bei fünf Prozent der krankgeschriebenen Pflegekräfte COVID-19 der Grund der Krankschreibung gewesen.

Der Pflegeberuf sei mitunter derart kraftraubend, dass überproportional viele Beschäftigte nicht bis zur Rente durchhielten, sagte Straub. So sei der Anteil der Pflegekräfte mit Erwerbsminderungsrente fast doppelt so hoch wie in anderen Berufen.

Verlorene Pflegekapazitäten

„Die Arbeitsbedingungen in der Pflege können nicht so bleiben, wie sie sind“, betonte Rothgang. Die Arbeitgeber müssten neben geregelten Arbeitszeiten stärker auf betriebliche Gesundheitsvorsorge achten.

Aktuell biete aber nicht einmal jede zweite stationäre Pflegeeinrichtung Präventionskurse für Beschäftigte an. Mit gezielten Trainings gegen Rückenschmerzen oder psychischen Stress lasse sich „einiges“ bewirken.

Straub wies darauf hin, dass sich durch bessere Arbeitsbedingungen auch der Personalnotstand in der Altenpflege bremsen lasse. „Deutschland hätte auf einen Schlag 26.000 Pflegekräfte mehr, wenn die Arbeitsbedingungen und damit auch die Gesundheit der Pfleger besser wären.“

Stünden diese Fachkräfte in der Versorgung bereit, könnten 50.000 Pflegebedürftige mehr betreut werden.

Zu guten Arbeitsbedingungen gehörten außer einer angemessenen, tariflich geregelten Vergütung auch planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten, so Straub.

DPR: Pflegeprofession in prekärer Lage

Der Deutsche Pflegerat sprach mit Blick auf die Studienergebnisse von einer „prekären“ Lage, in der sich die Profession Pflege befände. „Solange sich die Arbeitsbedingungen der Pflegenden nicht umfassend verbessern, werden sich auch die jetzt im Report genannten Zahlen nicht verändern“, sagte Ratspräsident Franz Wagner. Es brauche „zeitnah und nachhaltig“ mehr qualifiziertes Pflegepersonal.

Die Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche, sprach von alarmierenden Zahlen. „Der Einsatz von Medikamenten ist Teil der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen. Es ist allerdings ein Warnsignal, das wachrütteln sollte, wenn Pflegekräfte selbst immer häufiger nach Medikamenten greifen.“ Die Bundesregierung müsse mehr gegen den Personalmangel in der Pflege tun.

Linke: Arbeitsbedingungen werden bewusst beibehalten

„Die Auswertung der Barmer beweist, dass große Teile des hiesigen Pflegenotstands von den Bundesregierungen der letzten zwanzig Jahre hausgemacht sind“, kritisierte die Linken-Politikerin Pia Zimmermann. Schlechte Bedingungen würden bewusst beibehalten, um die Kosten für Pflege niedrig zu halten. „Das ist zynisch, denn den Preis zahlen andere: die Menschen mit Pflegebedarf sowie die Patienten und zu einem großen Teil die Pflegekräfte selber.“

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