Skandinavien

Seltener zum Arzt - und dann mehr Zeit

Deutschlands Kliniken sind international nicht gerade Musterknaben, was die Verweildauer von Patienten angeht. Und auch bei den ambulanten Arztkontakten hat die Republik die Nase vorne. Skandinavien zeigt, wie es auch anders gehen kann.

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Uwe K. Preusker

Die Verweildauer in deutschen Akut-Krankenhäusern gilt international immer noch als hoch, auch wenn sie in Folge der Einführung des DRG-Systems bereits deutlich gesunken ist. 2010 betrug sie nach den neuesten OECD-Daten 7,3 Tage. 2003 waren es noch 8,3 Tage.

In Finnland dagegen lag die Akut-Verweildauer 2010 bei 5,4 Tagen und in Schweden bei 4,6 Tagen. In beiden Ländern wurde das DRG-System viele Jahre früher eingeführt, ist aber nicht verpflichtend wie in Deutschland.

Jedoch gibt es seit vielen Jahren eine Politik, die den Schwerpunkt der Versorgung von stationären auf ambulante Versorgungsformen verschiebt, unter anderem durch die systematische Förderung ambulanter Operationen.

Und zumindest für Finnland gilt: Ein Tag im Krankenhaus wird für den Patienten richtig teuer - er kostet aktuell 32,60 Euro Selbstbeteiligung.

Doch wie sieht es in der ambulanten Versorgung aus? Da liegt Deutschland mit der durchschnittlichen Zeit, die der niedergelassene Vertragsarzt für einen Patienten aufwendet, mit acht Minuten weit unter den Zeiten, die in Nordeuropa zur Verfügung stehen.

Auch hier wieder das Beispiel Finnland: Die Arzttermine werden standardmäßig im Halbstunden-Takt vergeben. Genau das ist auch die Zeit, die dann in den meisten Fällen für Untersuchungen und das Gespräch mit dem Patienten sowie die Dokumentation etc. zur Verfügung steht!

Paradiesische Zustände, werden nun viele deutsche Vertragsärzte sich denken - bei 60, 70 oder mehr Patienten pro Sprechstunden-Tag sind solche Zeiten eine Illusion!

Doch dafür sieht der deutsche Vertragsarzt seinen Patienten auch viel häufiger, wie auch hier die OECD-Daten zeigen: 8,9 Arztkonsultationen weist Deutschland 2010 pro Kopf der Bevölkerung auf, Finnland dagegen nur 4,3 und Schweden sogar nur 2,9!

Viele Arztbesuche durch die Vergütung begünstigt

Zwischenfazit: Kurze stationäre Verweildauern, seltene Arztbesuche - aber wenn man einen Termin beim Arzt hat, dann hat dieser auch viel Zeit für den Patienten. Das ist die aktuelle Wirklichkeit der Versorgung in den nordeuropäischen Ländern.

In Deutschland ist es in all diesen Fällen exakt umgekehrt: Die stationäre Verweildauer ist immer noch recht hoch, wenn auch tendenziell abnehmend. Gleichzeitig ist die Frequenz der Arzt-Patienten-Kontakte groß, wobei der einzelne Kontakt nur von kurzer Dauer ist.

Wie sind diese Unterschiede zu erklären? Da gibt es einmal historische und kulturelle Unterschiede: In Nordeuropa waren und sind Ärzte immer schon ein "knappes Gut". Dementsprechend hat man den Zugang zu diesem "knappen Gut" eher schwierig gestaltet.

Die Bürger reagieren darauf unter anderem mit einem relativ hohen Maß an Eigenverantwortung bei kleineren Gesundheitsstörungen. In Deutschland dagegen scheint der Arztbesuch so etwas wie ein Grundrecht zu sein. Und niemand traut sich, dieses "Grundrecht" zu beschneiden!

Doch das Vergütungssystem hat über die Jahrzehnte in Deutschland auch viele Arztbesuche begünstigt - in Nordeuropa ist das Gegenteil der Fall!

Ein Fazit ganz eigener Art zog bei der Diskussion über diese Unterschiede vor einigen Wochen ein schweizerischer MBA-Student in meiner Vorlesung über die nordeuropäischen Gesundheitssysteme: Es mag sein, dass die Patienten länger warten müssen. Aber wenn der Patient dann einmal beim Arzt ist, hat der auch richtig Zeit für ihn!

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