Arndt Striegler bloggt

Sprachverfall in Brexit-Zeiten

Englisch ist bekannt dafür, reich an Nuancen zu sein. In der Sprache der britischen Diplomaten, die in Brüssel um den Brexit feilschen, ist nichts mehr nuanciert, bedauert unser Londoner Blogger Arndt Striegler.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Theresa May beim EU-Gipfel in Salzburg neben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: "Wir sind bereit, die Verhandlungen abzubrechen", sagte sie nach dem Treffen.

Theresa May beim EU-Gipfel in Salzburg neben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: "Wir sind bereit, die Verhandlungen abzubrechen", sagte sie nach dem Treffen.

© JFK / picture alliance / APA / picturedesk.com

LONDON. Es war keine gute Woche für Theresa May und für Großbritanniens ambitionierte Brexit-Pläne. Voller Hoffnung war die Regierungschefin mit einer kleinen Delegation nach Salzburg zum EU-Gipfel geflogen, um Europas Regierungschefs ihren Ausstiegsplan schmackhaft zu machen.

Die Hoffnung in London: Die bislang zusammenhaltende Front der verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten werde bröckeln, weil der konkrete Austrittstag am 29. März 2019 bedrohlich naher rückt.

So eine Art Torschusspanik seitens der EU. London redet sich seit Monaten ein, die EU werde unter dem immer wieder angedrohten "No-Deal-Brexit" genauso wirtschaftlich leiden wie das Königreich. Doch diese Rechnung ist nicht aufgegangen.

Eine sichtlich wütende und geschockte Theresa May verließ am Freitag nach einer kurzen Pressekonferenz die Mozart-Stadt, um wenig später in der Londoner Downing Street demonstrativ vor zwei übergroßen Union Jack-Fahnen mit finsterer Miene vor der "jetzt bedrohlich wachsenden Gefahr eines No-Deal-Brexit" zu warnen.

Die Wut der EU-feindlichen Presse

"Täuschen Sie sich nicht, wir sind bereit, die Verhandlungen abzubrechen", drohte May. Und: es sei jetzt an der Zeit, dass Brüssel Kompromiss-Vorschläge auf den Tisch lege. Für das Vereinigte Königreich jedenfalls gelte: "Unser Vorschlag ("Chequers Plan") ist der einzig gangbare Weg, noch zu einem Abkommen zu gelangen."

Was dann hier in Großbritannien am Wochenende folgte, war ebenso vorhersehbar wie bedauerlich. Die überwiegend EU-feindliche Presse schimpft wie selten zuvor gegen Brüssel.

Wobei es immer wieder zu peinlichen verbalen Entgleisungen kommt – wie dem Vergleich der EU-Delegation mit "Monstern" ("Daily Mail") oder der Drohung, "die EU wird dafür teuer bezahlen – das ist Krieg" ("Sun").

Britanniens neuer Außenminister Jeremy Hunt, der zuvor jahrelang eher unglücklich das Gesundheitsministerium verantwortet hat, sagte der BBC, Brüssel solle Londons Höflichkeit bei den Verhandlungen nicht mit Schwäche verwechseln.

Man sei auf einen No-Deal vorbereitet und man werde nicht zögern, vom Verhandlungstisch aufzustehen, sollte Brüssel nicht "schnell neue, eigene Vorschläge unterbreiten". Ein mir befreundeter Klinikarzt berichtete mir später abends im Pub, er habe nur noch mit dem Kopf geschüttelt, als er auf seinem Handy von Hunts Drohung las. "Das ist alles unglaublich traurig und eigentlich unfassbar!"

Sprachliche Nuancen? Das ist passé

Einer der Gründe dafür, dass ich als recht typischer Norddeutscher vor mehr als 30 Jahren von Bremen nach London umgesiedelt bin, war und ist eine seit meiner Schulzeit anhaltende Faszination für die englische Sprache.

Englisch ist voller Nuancen, Zweideutigkeiten und kann unglaublich elegant sein; nichts ist schwarz oder weiß in der englischen Diplomatensprache – alles ist stets Grau. Mal Hellgrau, mal Felsengrau, mal Grau-Beige.

Verfolgt man freilich die von der Regierung May seit Monaten benutzte Diplomatensprache, so erinnert mich das eher an den berühmten Elefanten im Porzellanladen oder die berüchtigte "Axt im Walde". Kein Wunder, dass vom ursprünglichen Optimismus und Goodwill in Brüssel nach mehr als zweijährigem Brexit-Drama nicht mehr viel übrig ist!

Es sieht derzeit düster aus hier in Good old England. Und dass ist nicht nur jahreszeitlich-herbstlich bedingt. Immerhin aber gibt es selbst in diesen Zeiten auf der Insel noch immer die eine oder andere gute Nachricht.

Regelmäßige Leser dieses Blogs werden sich vielleicht noch an meinen persönlichen Kampf mit dem britischen Innenministerium um meine britische Staatsbürgerschaft erinnern.

Britischer Staatsbürger in spe!

Als ich darüber vor einigen Wochen – merklich genervt und etwas besorgt – schrieb, weil es lange nicht gut aussah für meine Zukunft auf der Insel, war ich gerührt wie überwältigt vom positiven und mutmachenden Echo der Leser. "Bitte geben Sie nicht auf. Wir brauchen Sie doch als Berichterstatter."

Oder der freundliche Hinweis eines Lesers aus München, es sei ratsam, in schwierigen Fällen direkt mal bei einem bestimmten Mitarbeiter im Innenministerium anzurufen. Die Rufnummer wurde dabei gleich mit geliefert. Danke an alle Leser für Ihre rege Anteilnahme, das Mutmachen und das Mitgefühl!

Ich freue mich, heute berichten zu können: Meine britische Staatsbürgerschaft ist bewilligt! Mitte Oktober werde ich erleichtert und mit eindeutig gemischten Gefühlen in mein örtliches Bürgeramt in Westminster gehen, um 1) einen Eid auf die Monarchie und die Queen zu schwören und 2) meinen ersten britischen Pass in Empfang zu nehmen.

Ich werde Ihnen selbstverständlich als bald berichten, wie das so war……

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 28.09.201812:37 Uhr

No-Deal-Brexit - Ursachen und Folgen?

Das "STATEMENT FROM HM GOVERNMENT - Chequers - 6 July 2018" [HM steht für "Her Majesty''s": belonging to or being a part of the government of the UK"] sagt eigentlich schon Alles:

Ausgerechnet die Regierung des Vereinigten Königreiches von Groß-Britannien (GB), die sich in der Europäischen Gemeinschaft (EU) stets ein wenig außerhalb der Euro-Zone zu stehen begriffen hat, will einfach nicht checken, dass sie eine EU verlassen will, zu der sie nie wirklich gehört hat.

- Fortbestand des englischen Pfund-Währung,
- mangelhafte Übernahme des metrischen Systems,
- Netto-Einnahmen größer als Beitragszahlung,
- unangemessen arroganter Börsen- und Bankenplatz London,
- Wechselkurs-Manipulationen zwischen britischem £ und €,
- offene Handelskonflikte mit der Republik Irland,
- weitere Diskriminierung der katholischen Bevölkerungsmehrheit in Nordirland,
- Missachtung europäischer Sicherheitsstandards in der Atomanlage Sellafield,
- fehlende Abschaffung des Linksverkehrs... usw. usf.

Wenn nach einem mehr oder weniger überstürzt angedrohten "No-Deal-Brexit" dann auch noch Englisch als eine der EU-Amtssprachen weg fällt, warte ich nur noch darauf, dass die völlig wild gewordene englische Presse-Meute von "Daily Mail" bis "the SUN" die britische Premierministerin Theresa May und Königin Elisabeth II auffordert, aus Rache den Eurotunnel zwischen Frankreich und England zu fluten.

Ich schreibe dies auch aus persönlicher Betroffenheit: John, einer meiner besten englischen Freunde, hat die Deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und jüngst auch bekommen, weil er schon zu Beginn des Brexit-Referendums sich als Pro-Europäer (Übersetzungen Englisch-Deutsch-Englisch) diskriminiert und ausgegrenzt fühlte. Ich weiß noch genau, wie wir gemeinsam mit seiner französischen Ehefrau Odile den Wahlsieg von Emmanuel Macron gemeinsam mit vielen Dortmunder Exilfranzosen als Aufbruch in eine neue europäische Ära gefeiert haben.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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