Erfahrungsbericht

Stammzellen – der Stoff für medizinische Forscherträume

Vor allem für die regenerative Medizin bietet die Stammzellforschung in Deutschland großes Potenzial. Der Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes für 2016/17 zeigt die aktuellen Trends in Forschung und Genehmigungspraxis.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Keine Forschung ad libitum! Für den wissenschaftlichen Umgang mit embryonalen humanen Stammzellen gelten strikte Gesetzesregeln.

Keine Forschung ad libitum! Für den wissenschaftlichen Umgang mit embryonalen humanen Stammzellen gelten strikte Gesetzesregeln.

© Alexander Raths / Fotolia

BERLIN. In den Jahren 2016 und 2017 hat die Erforschung humaner pluripotenter Stammzellen (hPS-Zellen) erneut wichtige Erkenntnisse in der Grundlagenforschung geliefert. Anwendungsorientierte Forschung und klinische Studien mit zellbasierten Arzneimitteln offenbaren zunehmend das Potenzial dieser Zellen und ihrer Derivate in der regenerativen Medizin.

Das geht aus dem achten Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes (StZG) hervor, über den die Bundesregierung nun den Bundestag unterrichtet hat. Wie die Regierung weiter betont, eignen sich Stammzellen als Ausgangspunkt für Modellsysteme für Krankheiten, für zellbasierte Plattformen für Wirkstoff-Tests sowie für medizinische Präparate für neue Therapiekonzepte.

International gut positioniert

„In all diesen Bereichen hat es im Berichtszeitraum signifikante Fortschritte gegeben. Die wissenschaftliche Community in Deutschland leistet im Bereich der Grundlagenforschung und der Verwendung der Zellen in der Gesundheitsforschung und Gesundheitswirtschaft international signifikante Beiträge“, ist der Bericht voll des Lobes für die deutschen Stammzellforschungsaktivitäten.

Die deutsche Forschung habe sich sehr gut vernetzt und die Zusammenarbeit mit anderen Forschungsdisziplinen wie der Zell- und Molekularbiologie, der Biotechnologie, der Biomaterialforschung, der zellulären Pathologie und Pathophysiologie, der Pharmakologie, dem Tissue Engineering, der Immunologie, der Chirurgie, der Bildgebung sowie der klinischen Medizin habe intensiviert werden können, heißt es weiter.

Die Designernuklease CRISPR-Cas9 – hier werden international bereits die ersten Patienten mit Zellen behandelt, die ex vivo damit gentechnisch verändert worden sind – stehe exemplarisch für die zunehmende Etablierung der Verfahren der Genom-Editierung.

„Die gezielte Einführung von Mutationen und das Entfernen von Genen ermöglichen genauere Aussagen über das Zusammenspiel der Gene in verschiedenen Zelldifferenzierungswegen. Die Stammzellforschung profitiert dabei insbesondere von der Kombination der neuen wegweisenden technologischen Entwicklungen in den Biowissenschaften, wie der Genom-Editierung, der Zellreprogrammierung und der 3D-Zellkultur“, hebt die Regierung im Bericht hervor.

Organoide im Trend der derzeitigen Forschung

Ebenfalls im Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit steht laut Bericht die Erforschung und Nutzung von Organoiden – organähnlichen 3D-Zellaggregaten –, die ein hochdynamisches Feld in der Stammzellforschung darstellten.

Die Reihe gut etablierter Hirn- und Darm-Organoide sei inzwischen durch Organoide ergänzt worden, die diverse innere Organe repräsentierten. Diese eigneten sich „hervorragend für Studien der Zelldifferenzierung und für die Wirkstoffforschung und können als Krankheitsmodelle von großem Nutzen sein“, heißt es weiter.

Organoide hätten sich zudem als geeignete Modellsysteme für die Aufklärung von Infektionskrankheiten erwiesen. So habe es seinerzeit für das Zika-Virus, das 2016 vor allem in Südamerika zirkulierte, noch kein Modellsystem gegeben. „An humanen zerebralen Organoiden konnten der virale Replikationszyklus und mögliche Therapiekonzepte studiert werden.

3D-Miniatur-Organoide können auch mit einem Bioprinter auf Oberflächen gedruckt werden. Auf einem Mikrofluidik-Chip lassen sie sich zu „Organ-on-a-chip“-Systemen verknüpfen“, führt die Regierung weiter aus. Biotechnologieunternehmen entwickelten diese Organchips mittlerweile immer erfolgreicher in Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie, um hPS-zellbasierte Plattformen für Wirkstoff- und Toxizitätstests zu etablieren und Tierversuche zu reduzieren, so die Regierung.

Ethikrat im Wandel

Nach dem im Juli 2002 in Kraft getretenen 2002 StZG ist die Forschung an menschlichen Embryonen verboten. Ob ein Import embryonaler Stammzellen ausnahmsweise doch erlaubt wird, entscheidet die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES), die beim Robert Koch-Institut angesiedelt ist.

Insgesamt wurden seit Inkrafttreten des StZG laut Bericht 132 Genehmigungen für die Einfuhr und/oder Verwendung von hES-Zellen an natürliche bzw. juristische Personen erteilt – 27 mehr als im Zeitraum 2014/15. Beflügeln könnte die deutsche Stammzellforschung, dass die Mehrheit im Deutschen Ethikrat inzwischen Eingriffe in die menschliche Keimbahn nicht mehr für unantastbar hält.

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