Ethikrat
Suizidgefährdet? Experten uneins über die Ursachen
Was löst „Lebensmüdigkeit“ – fachsprachlich Suizidalität – aus? Davon versucht der Deutsche Ethikrat ein Bild zu gewinnen. Hintergrund ist die anstehende Neubewertung der Suizidbeihilfe.
Veröffentlicht:Berlin. Die Politik in Deutschland braucht die Expertise von Experten aus Medizin, Recht und Ethik, um ein Konzept zur Suizidbeihilfe rechtssicher zu gestalten. In der Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar dieses Jahres, mit dem das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt wurde, hat sich auch der Deutsche Ethikrat auf den Weg gemacht.
In zwei Anhörungen soll Material für eine Stellungnahme gesammelt werden. Die soll zusammen mit weiteren Beiträgen der Kirchen und Verbände Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) darin unterstützen, ein „legislatives Schutzkonzept“ zu erstellen, das die Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Sterbewunsches bei geplanter Suizidbeihilfe sicherstellen kann.
Phänomenologie des Suizids
Nach der Veranstaltung „Recht auf Selbsttötung“ Ende Oktober stand am Donnerstag eine weitere Veranstaltung mit dem Titel „Phänomenologie der Sterbe- und Selbsttötungswünsche“ auf dem Programm. Unter den Experten gab es weitgehende Einigkeit, dass hinter Suizidalität sehr oft körperliche Gebrechen und seelische Krankheiten stehen.
Assistierter Suizid
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Ärzte dürften „offene Gespräche“ über Sterbewünsche führen und die bei schwer somatisch erkrankten Menschen auch aktiv abfragen, sagte Professor Raymond Voltz von der Universitätsklinik in Köln. Das könne auf die Patienten entlastend wirken. Handlungsvorschläge seien aber nicht angebracht.
Die Äußerung von Sterbewünschen könnten durchaus auch den Wunsch weiter zu leben manifestieren, aber auch Hinweise auf eine unerträgliche akute Situation geben, der sich der Betroffene entziehen wolle. Es gebe viele Angebote des Gesundheitssystems, die durchaus Übertherapie bei nicht heilbaren Patienten bedeuten könnten. Viele Patienten wüssten nicht, dass sie zu diesen Angeboten auch Nein sagen dürfen, sagte Voltz.
Sterbewünsche zulassen
Zu den Handlungsoptionen der Ärzte zählten daher unter anderem auch die Optimierung der palliativmedizinischen Versorgung, einschließlich psychosozialer und spiritueller Begleitung und der Erfüllung des Wunsches, zuhause zu sein. Wenn es der Patientenwille sei zu sterben, sollte dies zugelassen werden. Für den Patienten gebe es Auswege zum Beispiel durch den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken bis hin zur Tötung auf Verlangen, was allerdings verboten sei. Gesprächen darüber sollten Ärzte allerdings nicht ausweichen.
Debatte im Ethikrat
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Die direkte Ansprache von Suizidgedanken würden oft als entlastend erlebt, stellte auch Professorin Barbara Schneider von der LVR-Klinik Köln für Psychiatrie und Psychotherapie fest. Suizidale Menschen suchten in ihrer Krise häufig Hilfe, ohne ihre Not offen und direkt ansprechen zu können.
Hauptursache Depression
Von Gedanken an Selbsttötung betroffen sind besonders stark junge Menschen. Darauf verwies Professor Paul Plener von der Medizinischen Universität Wien. Epidemiologische Studien sprächen von einer Lebenszeitprävalenz von 37 Prozent der jungen Menschen in Deutschland, die schon einmal über Suizid nachgedacht hätten.
In der Grunderkrankung Depression sieht Professor Ulrich Hegerl, Arzt und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, den Hauptauslöser für Suizidalität. Suizidversuche und Suizide erfolgten in der Mehrzahl im Kontext psychischer Erkrankungen. Äußere Belastungen, wie Erkrankungen oder persönliche Konflikte würden von Laien als kausaler Faktor sowohl für Depression als auch Suizide überschätzt.