Tarifautonomie, Koalitionsfreiheit - MB will Erfolgsstory fortsetzen

Bleibt der Marburger Bund auch in Zukunft Ärztegewerkschaft? Die Chancen, die Tarifpluralität zu erhalten, sind in jüngster Zeit gewachsen. Zugleich gewinnen für den MB andere Arbeitsschwerpunkte an Bedeutung.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Sehen sich für künftige Herausforderungen gerüstet: Delegierte bei der MB-Hauptversammlung in Kiel.

Sehen sich für künftige Herausforderungen gerüstet: Delegierte bei der MB-Hauptversammlung in Kiel.

© Rainer Pregla

KIEL. Der Ausstieg des Marburger Bundes (MB) vor knapp sechs Jahren aus der Tarifgemeinschaft mit der Dienstleistungsgesellschaft Verdi wurde zu einer Erfolgsgeschichte. Die juristische, politische und wirtschaftliche Machtprobe mit den Arbeitgebern konnten die Klinikärzte zu ihren Gunsten wenden: Die Ärzte in den Krankenhäusern bekamen ihre eigenen Tarifverträge, und heute liegen ihre Gehälter weit über denen anderer Akademiker im Öffentlichen Dienst.

Dank dieser Tarifverträge hat sich die Zufriedenheit mit der Einkommenssituation, zum Teil auch mit den Arbeitsbedingungen in Kliniken, in den letzten Jahren spürbar verbessert, so der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft, Rudolf Henke.

Doch dem MB wie auch anderen Spartengewerkschaften, etwa der der Lokführer und Piloten, haftet der Ruf an, mit vergleichsweise geringem Aufwand in Tarifauseinandersetzungen eine große Hebelwirkung erzielen und Arbeitgeber so erpressen zu können. In einer merkwürdigen Allianz versuchen deshalb der Deutsche Gewerkschaftsbund - mit dem Anspruch der Alleinvertretung - und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, in einem Gesetz das Prinzip der Tarifeinheit durchzusetzen.

Zwei, die sich in Kiel gut verstanden: Schleswig-Holsteins Gesundheits- und Sozialminister Heiner Garg (l.) und der MB-Vorsitzende Rudolf Henke.

Zwei, die sich in Kiel gut verstanden: Schleswig-Holsteins Gesundheits- und Sozialminister Heiner Garg (l.) und der MB-Vorsitzende Rudolf Henke.

© Rainer Pregla

Die Regel lautet: Wer die Mehrheit der Mitarbeiter eines Betriebes organisiert, der macht den Tarifvertrag für alle. Für Ärzte wäre das kein Erfolgsmodell mehr, wie die Geschichte gezeigt hat. Die Allianz von DGB und BDA scheint bislang zumindest bei Bundeskanzlerin Angela Merkel auf offene Ohren gestoßen zu sein, weshalb die Spartengewerkschaften aufs höchste alarmiert sind. Entschieden ist aber noch nichts.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe sich noch nicht festgelegt, so der Unions-Bundestagsabgeordnete Dr. Rolf Koschorrek am Samstag auf der MB-Hauptversammlung in Kiel. Persönlich positionierte er sich eindeutig als Befürworter der Tarifpluralität. "Es darf nicht auf Massengewerkschaften hinauslaufen. Nötig sind fachlich fundierte, ausdifferenzierte Tarifstrukturen."

Klar sei hingegen die Positionierung der FDP in der Regierungskoalition, betonte der schleswig-holsteinische Gesundheits- und Sozialminister Heiner Garg (FDP): "Die Bedeutung des Marburger Bundes hängt von seiner Funktion als Tarifpartei ab." Es sei richtig, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Grundsatzurteil das Prinzip der Tarifeinheitr zugunsten der Koalitionsfreiheit für alle Berufsgruppen und damit auch für Spartengewerkschaften aufgegeben hat. Es gebe deshalb nicht mehr Streiks. In Krankenhäusern existiere inzwischen ein funktionierendes, von Pluralität bestimmtes Tarifsystem. Garg: "Davon müssen wir nur noch Angela Merkel überzeugen."

Tarifstreit um BG-Ärzte verschärft

Die große Tarifkommission des Marburger Bundes hat am Sonntag morgen beschlossen, die Tarifverhandlungen für die rund 1200 Ärzte in Berufsgenossenschaftlichen Kliniken für gescheitert zu erklären.

Jetzt laufen die Vorbereitungen für eine Urabstimmung über Streiks an. Hintergrund: Der MB fordert für einen neuen Tarifvertrag – Laufzeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2011 – eine lineare Steigerung der Gehälter von sieben Prozent. Er begründet dies mit einem erheblichen Abstand zu den Gehältern der Ärzte an kommunalen Kliniken.

In der ersten Verhandlungsrunde hatte der Verband der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken 2,7 Prozent angeboten, danach aber auf 2,3 Prozent reduziert. (HL)

Welch erfolgreiche, aber auch harte Gangart der Marburger Bund bei den Tarifverhandlungen einschlägt, zeigt sich an konkreten Beispielen, wie der Tarifexperte Lutz Hammerschlag erläuterte. Trotz enger Finanzspielräume nicht zuletzt durch die kostendämpfenden Maßnahmen des GKV-Finanzierungsgesetzes erreichte der Marburger Bund lineare Verbesserungen bei den privaten Klinikketten, die bei 2,5 bis drei Prozent liegen, und darüber hinaus strukturelle Veränderungen. Ein aktuelles Angebot der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken von 2,3 Prozent beantwortete der Marburger Bund mit dem Abbruch der Verhandlungen; gestern tagte die Große Tarifkommission. Man zeigt die Muskeln.

In Zukunft werde sich der Marburger Bund aber nicht nur auf Gehaltsverbesserungen fixieren. In den Vordergrund treten immer mehr Verbesserungen der Arbeitsbedingungen: Die Bewertung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften, die Planbarkeit von Arbeitszeiten und deren Vereinbarkeit mit dem Familienleben. Dazu gehört auch eine nicht mehr manipulierbare Erfassung der Arbeitszeiten, die Begrenzung der Anzahl von Bereitschaftsdiensten und die zeitliche Kompensation. Außerdem soll eine wöchentliche Höchstarbeitszeit vereinbart werden.

In zwei Bereichen wird es in Zukunft aber doch um Geld gehen: für die Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst sowie in Forschung und Lehre. Hier hat sich eine Schere aufgetan, die der Marburger Bund nun schließen will.

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