Teamarbeit ist bei der Wundversorgung Pflicht

Wenn Patienten mit chronischen Wunden nicht gut versorgt werden, dann hat das meistens zwei Gründe: Fortbildungsdefizite und mangelnde Kooperation.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Fortbildung und Kooperation sind für eine gute Wundversorgung unerlässlich.

Fortbildung und Kooperation sind für eine gute Wundversorgung unerlässlich.

© Klaro

VIERNHEIM. Menschen mit chronischen Wunden werden in Deutschland nicht immer adäquat versorgt. "Es gibt in diesem Bereich eine Unter- und Fehlversorgung", sagt der Allgemeinmediziner und Phlebologe Dr. Karl-Christian Münter aus Hamburg.

Vernetzte Strukturen, bei denen Haus- und Fachärzte mit Pflegefachkräften und Kliniken zusammen arbeiten, können auch nach Meinung der Pflegefachkraft Annette Hack aus Viernheim Abhilfe schaffen.

Gründe für die schlechte Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden sind meist Fortbildungsdefizite und mangelnde Kooperation.

Mit- und nicht gegeneinander arbeiten

"Wenn eine Wundbehandlung gelingen soll, müssen alle mit- und nicht gegeneinander arbeiten", so Münter. Ein Arzt müsse beispielsweise wissen, dass ambulante Pflegedienste für einen Verbandswechsel, je nach Bundesland, sechs Euro bekommen.

Ein Pflegedienstmitarbeiter sollte wiederum wissen, was Regelleistungsvolumina sind und wie sich Verordnungen auf die Budgets der Ärzte auswirken. "Manche Ärzte scheuen sich aus Angst vor der Regressfalle, moderne Wundverbände aufzuschreiben", so Münters Erfahrung.

Die Angst sei unbegründet, wenn Dokumentation, Diagnose und Therapie stimmig seien und nach Standards erfolgten. Er rät Ärzten im Zweifelsfall, den Patienten an erfahrene Kollegen zu überweisen. "Für jeden Fall gibt es Spezialisten."

Wundzentrum bundesweit einmalig

Münter ist Mitglied im Wundzentrum Hamburg. Das Netz setzt seit zehn Jahren auf Kooperation. "Wir haben 420 Mitglieder", sagt der Wundspezialist. Darunter sind Dermatologen, Chirurgen, Gefäß- und plastische Chirurgen, Podologen, Lymphtherapeuten, Apotheker und Orthopädietechniker. In dieser Größenordnung sei das Wundzentrum bundesweit einmalig.

In vielen anderen Bundesländern werde derzeit versucht, ähnliche Strukturen aufzubauen, etwa in Lahr oder in Dortmund. "Es braucht ein stringentes Behandlungskonzept über alle Sektorengrenzen hinweg: Von der Klinik in die Praxis, von der Praxis zum Wundzentrum." Damit die Zusammenarbeit reibungslos klappt, empfiehlt Münter enge Kontakte zwischen den Berufsgruppen - etwa durch regelmäßige Fallbesprechungen mit Ärzten und Pflegefachkräften.

Mehr Teamarbeit fordert auch Annette Hack. In ihrer mobilen Wundambulanz in Viernheim bei Mannheim hat die examinierte Pflegefachkraft oft mit Patienten zu tun, deren Wunden schlecht versorgt wurden. Erst kürzlich behandelte sie eine Patientin, deren Beine nach einem Klinikaufenthalt voller eitriger Geschwüre waren. Ursache dafür seien unsachgemäße Kompressionen.

Mangelndes Wissen sorgt für Pflegefehler

"Pflegefehler liegen zu 99 Prozent an dem mangelnden Wissen der Beteiligten", so Annette Hack. Sie hat sich auf die Wundversorgung zu Hause spezialisiert und versucht unter anderem mit einer detaillierten Pflegediagnostik, Ärzte bei der Dokumentation zu unterstützen.

Dieses Vorgehen empfiehlt sie auch anderen Mitarbeitern von Pflegediensten. Es reiche nicht aus, von Ärzten nur Verordnungen zu wollen. "Pflegekräfte müssen auch etwas von Fallpauschalenregelungen verstehen."

Ärzte hingegen sollten nach ihrer Meinung auch die Kompetenzen von zertifizierten und auf Wundtherapie spezialisierten Pflegekräften akzeptieren. Um sich näherzukommen, empfiehlt Hack, einen "Wundenstammtisch" auf regionaler Ebene einzuführen, an dem sich Ärzte, Pflegefachkräfte und Patienten treffen.

Rückendeckung bekommt sie von der Initiative Chronische Wunden (ICW) in Kiel. "Störungen für ein produktives Miteinander sind rechthaberische Vertreter beider Seiten", heißt es in einem Positionspapier der interdisziplinären Fachgesellschaft.

Wundexperten und Pflegetherapeuten werden empfohlen

Um bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, empfiehlt die Initiative den Einsatz von Wundexperten und Pflegetherapeuten, etwa in Kliniken, Wundambulanzen oder als Berater für stationäre und ambulante Einrichtungen. Das vom ICW entwickelte Konzept wird derzeit von mehr als 130 Bildungsträgern angeboten.

Mittlerweile gibt es 15.000 vom TÜV Rheinland zertifizierte Absolventen. Um Patienten mit chronischen Wunden besser zu versorgen, braucht es aus Sicht der Fachgesellschaft allerdings auch eine angemessene Vergütung, zeitliche und materielle Ressourcen und die Möglichkeit der Teilnahme an Fortbildungen.

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