Uni Gießen-Marburg: Viel Sand im Getriebe von Forschung und Lehre

Krankenversorgung privatisiert, Forschung und Lehre in Staatshand, zwei Standorte vereinigt - funktioniert das? Das vorläufige Urteil des Wissenschaftsrates fällt durchwachsen aus. Die Professoren müssen noch viel lernen.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Hand in Hand geht in Gießen-Marburg nicht viel. © dpa

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Seit der Privatisierung der Universitätskliniken Gießen und Marburg vor vier Jahren haben sich Forschung und Lehre nicht verschlechtert. Es hapert jedoch an der Zusammenarbeit der beiden Standorte. Das ist das Ergebnis der Stellungnahme des Wissenschaftsrates.

Bis heute handelt es sich um die bundesweit einzige Privatisierung eines Universitätsklinikums: Anfang 2006 verkaufte das Land Hessen die fusionierten Uni-Krankenhäuser Gießen und Marburg für 112 Millionen an die Rhön-Klinikum AG.

Ein Schub für die Modernisierung

Die Mitarbeiter beklagen eine Arbeitsverdichtung, niedergelassene Ärzte einen Trend zur Drehtürmedizin. Die Uniklinik hat 7750 Beschäftigte, darunter 130 Professoren. Die Zahl der Medizinstudenten liegt bei 5300.

Für den größten Kritikpunkt der Wissenschaftsberater ist die Rhön AG aber nur am Rande verantwortlich: Nach Einschätzung des Rats kooperieren die Medizin-Fachbereiche in Gießen und Marburg nicht ausreichend. Sie unterstehen dem Land. "Die beiden Fachbereiche haben keine gemeinsame Strategie entwickelt", sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Professor Peter Strohschneider. Dieser Prozess müsse nun unverzüglich begonnen werden.

Der Rat erklärt sich die mangelnde Kooperation vor allem mit alten Rivalitäten. Zudem wurde die Privatisierung in Gießen als Rettung des bedrohten Uni-Klinikums angesehen. Dagegen gab und gibt es in Marburg viele Gegner der Privatisierung.

Der Wissenschaftsrat erwartet von den Fachbereichen nun einen abgestimmten Lehrplan mit gemeinsamen Lehrangeboten, einer ergänzenden Berufungspolitik sowie koordinierte Schwerpunkte in Forschung und Krankenversorgung.

Für einen Aufschrei dürfte die Stellungnahme zur Zahnmedizin sorgen: Die beiden Uni-Zahnkliniken sind nach Einschätzung des Rates viel zu groß und müssen zusammengelegt werden. Damit der Fusionsprozess vorankommt, sei eine externe Moderation dringend nötig. Hier sei das Land gefordert. Zudem müsse Hessen mehr in Forschung und Lehre investieren. Der Landeszuschuss liege weit unter dem Bundesdurchschnitt.

Dass es "atmosphärische Störungen" zwischen den Professoren gibt, bestätigt der Marburger Dekan Matthias Rothmund: "Es ist verständlich, dass sich erst einmal alle Haare aufstellen, wenn zwei Hochschulstandorte auf Wunsch der Politik zusammengeworfen werden." Die Fachbereiche hätten jedoch nun ein Konzept zur strukturierten Kooperation entworfen.

In der Krankenversorgung - für die Rhön zuständig ist - konstatiert der Wissenschaftsrat eine Leistungsverdichtung. Dies sei jedoch an allen Uni-Kliniken zu beobachten und eine Folge der Fallpauschalen, erklärt Medizinreferentin Dr. Ursula Bittens.

Von den Strukturen profitieren laut Wissenschaftsrat vor allem Spitzenforscher, während andere Wissenschaftler stark durch die Krankenversorgung beansprucht sind. Der Rat kritisiert das sogenannte Benchmarking, mit dem der Personalbedarf für die Uni-Kliniken festgestellt werden sollte. Dies habe die Mitarbeiter verunsichert. Für eine abschließende Stellungnahme zur Entwicklung der Standorte sei es jedoch noch zu früh, betonen die Experten.

Die hessische Landesregierung sieht sich bestätigt: "Allen Unkenrufen zum Trotz war das der richtige Weg, um den Investitionsstau an beiden Standorten aufzulösen", betont Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann. Von einem "hervorragenden Zeugnis" spricht der Vorstandsvorsitzende der Rhön-Klinikum AG, Wolfgang Pföhler.

Dagegen wundert sich der für Wissenschaftler und Ärzte zuständige Personalrat des Marburger Uni-Klinikums über das Ergebnis. Er konstatiert schlechte Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter. Dadurch werde es immer schwerer, Ärzte nach Marburg zu holen, beklagt der Vorsitzende, Oberarzt Franz Josef Schmitz: "Die Leute haben kaum noch Zeit, sich um die Studenten und um die Weiterbildung zu kümmern." Sie würden "wie Zitronen ausgepresst".

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