Vertragsarztrechtsänderungsgesetz

Historische Reform eröffnete 2006 neue Möglichkeiten für Ärzte

Für Ärzte und ihren Nachwuchs war es eine historische Reform: das 2006 beschlossene Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG). Es schuf völlig neue Möglichkeiten der Berufsausübung in der ambulanten Medizin. Bis heute profitiert davon vor allem der ärztliche Nachwuchs.

Von Helmut Laschet Veröffentlicht:
Großpraxis in Berlin: Kooperative Organisationsstrukturen sind in der ambulanten Medizin inzwischen verbreitete Realität.

Großpraxis in Berlin: Kooperative Organisationsstrukturen sind in der ambulanten Medizin inzwischen verbreitete Realität.

© HL

„Not macht erfinderisch. Und in der Not wird die Freiheit auch als Wert wiedererkannt. Viele Freiheiten sollen deshalb für Ärzte gelten, die bereit sind, in jenen Regionen zu arbeiten, in denen Ärzte knapp sind.“

Das sind die einleitenden Sätze eines Berichts der „Ärzte Zeitung“ vom 2. Februar 2006 über ein Eckpunktepapier von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zur Liberalisierung des Vertragsarztrechts. Das Ziel war, den Vertragsärzten umfassende eigene Organisationsmöglichkeiten und Freiheiten zu geben, um einen Ausgleich zwischen über- und unterversorgten Regionen zu schaffen.

Auch mit Ü-55 noch niederlassen

Als erstes kassierte der Gesetzgeber Reglementierungen, die er 14 Jahre zuvor beschlossen hatte: die Altersgrenze von 55 Jahre für die Zulassung als Vertragsarzt wurde gestrichen, ferner die Altersgrenze von 68 Jahren in unterversorgten Gebieten.

Wesentlich bedeutender waren jedoch zwei andere Reformelemente:

  • Erstmals wurde Vertragsärzten erlaubt, auch in Teilzeit zu arbeiten; bis dahin waren Gesetzgeber und Selbstverwaltung stets davon ausgegangen, dass jeder niedergelassene Arzt Vollzeit arbeitet. Angesichts der aus damaliger Sicht zunehmenden Feminisierung des Arztberufs wurde der Bedarf einer Flexibilisierung hinsichtlich des Ausmaßes der Berufsausübung und seiner Belastungen anerkannt.
  • Nachdem bereits mit der Gesundheitsreform 2002 die Möglichkeit der Anstellung von Ärzten in Medizinischen Versorgungszentren geschaffen worden war, bekamen nun auch freiberuflich tätige Vertragsärzte das Recht, Ärzte anzustellen, und zwar nicht nur aus dem eigenen Fachgebiet, sondern auch aus anderen ärztlichen Disziplinen. Auch diese angestellten Ärzte konnten in Teilzeit arbeiten. Heute ist die gemischte Besetzung von Vertragsarztpraxen mit (wirtschaftlichen) Freiberuflern und Angestellten weit verbreitete Praxis. Der Gesetzgeber reagierte damit auf Bedürfnisse einer nachwachsenden Ärztegeneration, die nicht mehr bereit war, die Lasten und Risiken wirtschaftlicher Freiberuflichkeit einzugehen, sondern die nach wirtschaftlicher Sicherheit, Planbarkeit und Worklife-Balance strebte.

Mehr Möglichkeiten zu kooperieren

Darüber hinaus schuf das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz die Voraussetzungen für neuartige Kooperationsformen unter Vertragsärzten: die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (ÜBAG).

Sie ermöglichte es Ärzten, auch verschiedener Fachgebiete, ihren Beruf in Kooperation mit anderen Kollegen an verschiedenen Orten auszuüben. Ferner wurde es möglich, Zweigpraxen zu gründen, die nur zeitweilig betrieben werden mussten, beispielsweise in dünn besiedelten ländlichen Regionen, in denen eine eigenständige Arztpraxis wirtschaftlich nicht tragfähig war.

Ein Element der Gesetzpläne rief allerdings den vehementen Widerstand der KBV und der KVen hervor: die Möglichkeit, dass die Länder den KVen dann den Sicherstellungsauftrag entziehen, wenn es der KV nicht gelingt, freie Vertragsarztsitze zu besetzen. In einer solchen Konstellation sollte der Sicherstellungsauftrag an die Kassen übertragen werden, die ihrerseits Einzelverträge mit Ärzten schließen sollten.

Die Kosten dafür sollten den KVen in Rechnung gestellt werden – am Ende hätten die Vertragsärzte ihre von den Kassen unter Vertrag genommenen Kollegen finanziert. Im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens lenkte das BMG ein und verzichtete auf diese Art der Repression.

Ärzteschaft uneins

Das Echo der Ärzteschaft auf die Liberalisierung des Vertragsarztrechts war geteilt: Während die KBV sehr schnell die Chancen der neuen Freiheiten sah, formierte sich bei der Bundesärztekammer teils energischer Widerstand. Teile des Gesetzes waren nicht kompatibel mit dem ärztlichen Berufsrecht, wobei bis dato der Grundsatz galt, dass ärztliches Berufsrecht vorrangig gegenüber Sozialrecht war. Außerdem befürchteten die Kammern – angesichts neuer unternehmerischer Möglichkeiten der Vertragsärzte – eine wachsende „Ökonomisierung und Kommerzialisierung“ der ambulanten Medizin.

Die Bedenkenträger von damals sind an der Realität gescheitert. Das 2007 in Kraft getretene VÄndG ist heute in der Breite geübte Praxis mit Vorteilen für den Nachwuchs.

Lesen sie auch
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Sponsoring auf dem Prüfstand

Ärztliche Fortbildung soll unabhängiger werden

Lesetipps
Das Maximum in Europa für die Facharztweiterbildung seien fünf Jahre, das Minimum drei Jahre. „Nur so als Überlegung, ob und wo man reduzieren könnte“, sagte Prof. Henrik Herrmann (links), der zusammen mit Dr. Johannes Albert Gehle (rechts) den Vorsitz der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer innehat.

Beschluss des 128. Deutschen Ärztetags

Die ärztliche Weiterbildung soll schlanker werden

Dr. Franz Bernhard Ensink, der Vorsitzende der Finanzkommission der Bundesärztekammer, verteidigte den Haushaltsvoranschlag für das kommende Geschäftsjahr gegen die Kritik sächsischer Delegierter.

© Rolf Schulten

Haushaltsplan der BÄK

Landesärztekammern müssen höhere Umlage an BÄK zahlen