Arztnetze

Vier gute Gründe, warum das Sektorendenken passé ist

Seit Jahrzehnten wird über die Überwindung der Sektorengrenzen diskutiert; passiert ist nicht viel. Experten sind davon überzeugt, dass sich das in naher Zukunft ändern wird.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Die Vernetzung wird in Zukunft zunehmen, das Denken in Sektoren wird der Vergangenheit angehören, sind Gesundheitsexperten überzeugt.

Die Vernetzung wird in Zukunft zunehmen, das Denken in Sektoren wird der Vergangenheit angehören, sind Gesundheitsexperten überzeugt.

© sdecoret / stock.adobe.com

KIEL. Die sektorenübergreifende Patientenversorgung beschäftigt Gesundheitsexperten seit Jahrzehnten, ohne dass zufriedenstellende Ergebnisse flächendeckend erzielt werden konnten. Auf dem Kieler Kongress „Vernetzte Gesundheit“ betrieben die Teilnehmer Ursachenforschung, erhielten aber auch Signale für eine bevorstehende Veränderung.

Die erwartet insbesondere Professor Wolfgang Hoffmann. Der Direktor des Instituts für Community Medicine an der Universität Greifswald verdeutlichte im Pre-Workshop des Kongresses, warum die heute noch in Sektoren aufgeteilte Welt des Gesundheitswesens morgen in dieser Form keinen Bestand mehr haben könnte.

Er beschrieb mehrere Entwicklungen, die die „alte Welt“ des Gesundheitswesens „hinwegfegen“ werden.

Das spricht gegen Sektorengrenzen

  • Geschwächte Selbstverwaltung: Die ärztliche Selbstverwaltung hat sich selbst und damit ihre Position gegenüber der Politik geschwächt. Zugleich erstarken andere Gesundheitsberufe, die zunehmend in die Verantwortung drängen und ihre Bedeutung etwa durch Akademisierung untermauern. Als Beispiel nannte Hoffmann die Pflege, die auch von der Politik „aufgewertet“ worden sei: „Das Kräfteverhältnis hat sich verändert.“
  • Vorstellungen junger Ärzte: Die jüngere Ärztegeneration ist nicht bereit, auf eine Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ untereinander, aber auch nicht mit anderen Gesundheitsberufen zu verzichten. Sie steht Modellen der Delegation aufgeschlossener gegenüber als ihre Vorgänger und fordert Teamarbeit ein.
  • Höhere Transparenz: Die Transparenz erhöht sich. Einen wesentlichen Beitrag dazu liefern die Digitalisierung und die schon im Einsatz oder in der Erprobung befindlichen Instrumente wie elektronische Patientenakten. Zugleich steigt die Digitalisierungskompetenz bei Gesundheitsberufen und Patienten.
  • Anderes Arzt-Patienten-Verhältnis: Das Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten ändert sich rapide. Paternalistisches Verhalten gehört bereits größtenteils der Vergangenheit an und wird zunehmend durch Shared Decision Making abgelöst.

„Die Patienten werden sich nicht mehr dominieren lassen“, sagte Hoffmann. Die partizipative Entscheidungsfindung wird nach seiner Überzeugung dazu beitragen, dass die starren Grenzen, die das deutsche Gesundheitswesen heute noch prägen, fallen. Hoffmann schließt nicht aus, dass diese Tendenzen zu einer Beseitigung heute noch bestehender rechtlicher Hürden und zu einem Marktaustritt heute etablierter Akteure führen werden.

Auch andere Experten halten Änderungen für überfällig. Gesundheitsökonom Professor Herbert Rebscher erwartet aber keine disruptiven Brüche, sondern schrittweisen Fortschritt. „Wir sollten nicht auf eine große, übergreifende Lösung warten“, sagte Rebscher.

Dr. Franz Bartmann, früherer Kammerpräsident in Schleswig-Holstein und heute Berater mit Schwerpunkt E-Health, setzt auf eine gezieltere Steuerung von Patienten, die die heute noch zu beobachtende Beliebigkeit, mit der Angebote im Gesundheitswesen in Anspruch genommen werden, einschränkt. Dafür, so Bartmann, müssten Patientenpfade entwickelt werden. Markus Knöfler, Geschäftsführer des Praxisnetzes Herzogtum Lauenburg, erwartet für regionale Lösungen auch Vertrauen in die Akteure.

Kann das deutsche Gesundheitswesen auf dem Weg in die sektorenübergreifende Versorgung von anderen Ländern lernen? Dr. Helmut Hildebrandt von OptiMedis und Bartmann warnten davor, hinter den Grenzen Blaupausen zu vermuten – die Bedingungen etwa in Dänemark oder in den Niederlanden lassen sich nicht auf das deutsche Gesundheitswesen übertragen.

Dr. Thomas Schang, neuer Vorstandschef der Agentur Deutscher Arztnetze, hält mehr davon, eine wichtige Hürde für die übergreifende Versorgung zu beseitigen: „Die Basis der heutigen Vergütung ist die Menge, Ärzte werden bezahlt wie Fabrikarbeiter“, gab Schang zu bedenken. Um Ärzte zu einer sektorenübergreifenden Arbeitsweise zu bewegen, müssten neue Anreize gesetzt werden, die etwa die ärztliche Verantwortung in den Mittelpunkt stellen.

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