Zukunfts-Rezepte für den GBA

Wie groß darf die Reform sein?

Drei Juristen hat das Ministerium gefragt, ob und wie der Bundesausschuss reformiert werden soll. Nach langem Hickhack sind die drei Gutachten veröffentlicht worden – und jetzt?

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Muss der GBA reformiert werden und wenn ja wie? Drei Gutachten dazu wurden jetzt veröffentlicht.

Muss der GBA reformiert werden und wenn ja wie? Drei Gutachten dazu wurden jetzt veröffentlicht.

© GBA

BERLIN. Minimalinvasiver Eingriff oder doch eine große Reform-Operation? Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat nach langem parlamentarischen Hickhack die drei von der Regierung bestellten Gutachten veröffentlicht, die Reformperspektiven für den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) aufzeigen sollen.

Die drei Expertisen spiegeln die in der Jurisprudenz vertretene Meinungsvielfalt wider – und lassen den Gesetzgeber mit der Entscheidung allein. Gesucht wird ein Königsweg, wie die seit Jahren beklagten Legitimationsdefizite des GBA gelindert werden können, ohne die mächtige Umsetzungsmaschine des deutschen Gesundheitswesens lahmzulegen.

Hintergrund der Gutachten ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom November 2015 (1 BvR 2056/12). Darin hatten die Karlsruher Richter mehr Tiefgang in der Debatte um den GBA gefordert. Generell formulierte Zweifel an der Legitimation des GBA reichten nicht aus. Kritisch werde es immer dann, wenn der Ausschuss Angelegenheiten Dritter regelt, die nicht zu den "Bänken" – Ärzte und Krankenkassen – gehören und die an der Entstehung etwa einer Richtlinie auch nicht beteiligt waren.

Theoretisch gibt viele Reformpfade, in der politischen Praxis aber nicht.

  1. Die Gutachten im Überblick:
  2. Professor Winfried Kluth von der Uni Halle-Wittenberg sieht "überzeugende Gründe" dafür, dass der GBA in seiner Trägerschaft sich auf zwei "systemtragende Organisationen" fokussiert. Kluth erkennt keine Gefahr, dass die dort vertretenen Gruppen sich zu Lasten von Gemeinwohlbelangen im GBA durchsetzen können. Die dort nicht repräsentierten Akteure –  wie aus der Pflege oder den Gesundheitsfachberufen – seien bei Entscheidungen des GBA "nicht schwerwiegend in eigenen Grundrechten betroffen" sind, glaubt Kluth. Er empfiehlt lediglich eine Minimal-Reform dergestalt, dass die Stimmrechte des GKV-Spitzenverbands intern neu verteilt werden sollten. Drei der fünf Vertreter, die der Verband für das GBA-Plenum zu bestellen hat, sollten Vertreter der Versicherten sein. Der Jurist verweist selbst auf die Probleme, Versicherteninteressen für die Arbeit bei Sozialversicherungsträgern zu mobilisieren. Das gilt zumal angesichts der umstrittenen "Friedenswahlen". Eine "echte Versichertenrepräsentation", die nicht auf Versichertenvertretern fußt, sei "nicht realistisch und mit vertretbarem Aufwand nicht umsetzbar".
  3. Professor Thorsten Kingreen von der Uni Regensburg kommt zu völlig anderen Schlussfolgerungen. Er hält eine Reform der Rechtsetzung des GBA für "unerlässlich". Dabei müsse es darum gehen, dass "verfassungsrechtliche Problem an der Wurzel zu fassen" – und das sei die Frage der personell-organisatorischen Legitimation. Mit dem Verweis auf "Tradition" oder der "Bündelung von Sachkunde" durch die Bänke werde man dem Problem nicht beikommen. Auch die Installation einer "dritten Bank" für Patienten- oder Versichertenvertreter sei kein gangbarer Weg. Dadurch werde die "Fehlvorstellung noch weiter kultiviert, das öffentliche Gesundheitswesen sei eine ‚Selbstverwaltungsangelegenheit‘ einzelner Interessengruppen". Ein gangbarer Weg bestehe darin, die vom GBA erarbeiteten Richtlinien durch das BMG für allgemeinverbindlich zu erklären. Das sein ein "minimalinvasiver" Eingriff, der bewährte Strukturen und Entscheidungsverfahren nicht schwäche.
  4. Professor Ulrich Gassner von der Uni Augsburg hält die Minderheit der kranken Versicherten im GBA für "krass unterrepräsentiert". Einigungen von Ärzten und Kassen auf Kosten der Patienten nennt er – völlig anders als Kluth – "nicht nur vorstellbar", sondern "wahrscheinlich". Die existierende Patientenvertretung im GBA sei "ein Schritt in die richtige Richtung", reiche aber nicht, um den Ausschuss "hinreichend demokratisch zu legitimieren". Er hält es für zweckmäßig, Patientenvertretern ein Vetorecht im GBA zu geben, dies aber mit der Installation einer Schiedsstelle zu verknüpfen. An dieser Einrichtung sollten Sachverständige mitwirken, die vom Gesundheitsausschuss des Bundestags ernannt werden.

Neben den Mitgliedern des Beschlussgremiums im GBA sollten der Schiedsstelle acht Sachverständige "der medizinischen, pharmazeutischen und gesundheitsökonomischen Wissenschaft und Praxis" angehören.

Der Veröffentlichung der drei Gutachten war ein Schlagabtausch von Regierung und Opposition vorausgegangen. Im April hatte die Regierung noch auf eine parlamentarische Anfrage der FDP hin erklärt, die Prüfung der Gutachten "obliege der Bundesregierung". Durch eine Veröffentlichung wolle man dem nicht vorgreifen.

Im zweiten Schritt stimmte die Koalition im Bundestag einen Antrag der FDP nieder, in dem die Veröffentlichung der Gutachten gefordert wurde. Erst als die FDP Anfang Mai einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf Herausgabe der drei Expertisen stellte, gab das BMG nach.

Gemeinsamer Bundesausschuss

» Diese Organisationen bilden den GBA: Kassenärztliche und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband.

» Jeweils fünf Vertreter entsenden einerseits der GKV-Spitzenverband, andererseits die Organisationen der Leistungserbringer. Hinzu kommen drei unparteiische Mitglieder.

» Patientenvertreter nehmen zwar an den Sitzungen des Plenums beratend teil, sie haben aber nur ein Mitberatungs- und Antragsrecht, aber kein Stimmrecht.

» Finanziert wird der GBA über einen Systemzuschlag, der bei jedem ambulanten oder stationär abzurechnenden Behandlungsfall fällig wird.

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