Qualitätsvorgaben für Kliniken

Wie weit reicht die schweizer Peitsche?

Personaluntergrenzen, Mindestmengen und Abteilungsvorgaben sollen die Qualität heben. Beim Europäischen Gesundheitskongress wurde debattiert, wie man vermeidet, dass dabei die Versorgung leidet.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Das Universitätshospital in Lausanne. In der Schweiz gibt es eine zweistufige Klinikstruktur.

Das Universitätshospital in Lausanne. In der Schweiz gibt es eine zweistufige Klinikstruktur.

© picture alliance / REUTERS

MÜNCHEN. Qualitätsquelle oder Versorgungskiller? Welche Folgen Personaluntergrenzen, Abteilungsvorgaben und Mindestmengen haben, damit beschäftigten sich Experten Ende Oktober beim Europäischen Gesundheitskongress. In jeder Ecke ein spezialisiertes Krankenhaus zu erwarten, sei zu hoch gegriffen, sagte Ministerialdirigent Herwig Heide, Leiter der Abteilung Krankenhausversorgung im bayerischen Gesundheitsministerium. Womöglich sei ein „Widerspruch zwischen Qualität und Wohnortnähe der Versorgung“ unvermeidbar. Dennoch dürfe Erreichbarkeit als Qualitätsmerkmal nicht völlig außer acht gelassen werden.

Wenn die Versorgung in einer Region sonst nicht mehr sichergestellt sei, müsse von starren Qualitätsvorgaben notfalls abgewichen werden können. So sei unter anderem zu hinterfragen, ob jede Klinik Chirurgie, Innere Medizin und Anästhesie vorhalten müsse, um als Basisversorger anerkannt zu werden. Durch diese Vorgabe, so Heide, könne die „sehr sinnvolle Absprache von Leistungsschwerpunkten konterkariert werden.“

Zweistufen-Prinzip in der Schweiz

So könne ein Chirurgie-Schwerpunkt an einem Ort, und eine Innere Medizin-Schwerpunkt an einem anderen eine gute Lösung sein. Ebenso kritisch müsse bewertet werden, wie sich Mindestmengen für bestimmte Eingriffe vor allem auf die Versorgung in ländlichen Gebieten auswirken.

Die Schweiz habe eine zweistufige Struktur eingerichtet, berichtete Heidi Hanselmann, Regierungsrätin und Leiterin des Gesundheitsdepartements im Kanton St. Gallen. Es gebe Kantonsspitäler mit Spezialzentren und Häuser der Basisversorgung. In den Basis-Kliniken seien Chefärzte „im Kader für verschiedene Standorte zuständig“, so Hanselmann.

Das ermögliche eine wohnortnahe, fachärztliche Versorgung. Die Kliniken müssten zudem Mindestkapazitäten an Pflegepersonal vorhalten und in diesem Bereich neue Kräfte ausbilden.

Zum Sparen verpflichte die Politik die Krankenhäuser an anderer Stelle: Ab 2019 müssten Patienten mit bestimmten Erkrankungen ambulant statt stationär behandelt werden. Davon erwarte der Staat Einsparungen von bis zu einer halben Milliarde Franken. Die Kliniken wiederum befürchteten finanzielle Verluste.

Fehlendes Pflegepersonal belaste in Deutschland derzeit unter anderem die Kinderintensivversorgung, berichtete Professor Hugo Segerer. Der Sprecher des Neonatalogie-Forums Bayern befürchtet durch die Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR) des GBA negative Folgen. „Pauschale Mindestmengen werden den unterschiedlichen Anforderungen (…) nicht gerecht“, sagte er. Es sei zu hinterfragen, ob ein Perinatalzentrum pro Jahr mindestens 30 Frühgeborene unter 1500 Gramm behandeln müsse.

Diese Vorgabe war wegen Klagen von Krankenhäusern auf derzeit 14 reduziert worden. Besonders kritisch bewertete Segerer die Personalvorgaben, die ab 2020 für die Versorgung krank oder früh geborener Kinder gelten sollen. Eine Pflegekraft pro Kind – das sei nicht einzuhalten. Das habe ein Großteil der 215 Perinatalzentren bereits gemeldet. Wegen Kapazitätsmängeln könnten schon jetzt immer wieder Risikoschwangere oder ältere, kranke Kinder nicht wohnortnah behandelt werden. „Das bedeutet, dass manchmal schwerkranke Kinder stundenlang durch Bayern gefahren werden“, berichtete der Mediziner.

Abschläge in der Kritik

Ab 2020 soll es nun laut GBA Abschläge für Kliniken geben, wenn sie die Personalvorgaben nicht zu 95 Prozent erfüllen. Laut Segerer würde das die Versorgung zusätzlich erschweren. „Wenn ich einem Krankenhaus Geld entziehe, weil es einen bestimmten Personal-Schlüssel vorübergehend nicht erfüllt, ist kein einziger Patient besser versorgt“, stimmte Professor Achim Jockwig, Vorstandsvorsitzender des Klinikums Nürnberg, zu.

Zudem sei nach Ansicht von Segerer für die Kliniken nicht finanzierbar, durchgehend ein Maximum an Personal vorzuhalten. Dafür gebe es zu viele Schwankungen bei der Patientenzahl. Der Arzt forderte eine flexible Personalvorgabe von 2:1.

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