KBV-Chef Gassen im Interview

"Wir brauchen feste Preise"

Wie heiß wird der Sommer für die Ärzte? Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" gibt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen einen Ausblick auf die Honorarverhandlungen. Und er erklärt, warum es bald keine selbstausbeuterischen Niedergelassenen mehr gibt.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Erstmals Verhandlungsführer der Ärzte in den Honorarverhandlungen: Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen.

Erstmals Verhandlungsführer der Ärzte in den Honorarverhandlungen: Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen.

© David Vogt

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Gassen, warum orientiert man den kalkulatorischen Arztlohn am durchschnittlichen Gehalt von Oberärzten?

Dr. Andreas Gassen: Ich will nicht verhehlen, dass wir uns von Ärzteseite mit der Vergleichsgröße schwer getan haben. Da ein Oberarzt - auch wenn er in gewisser Form Leitungsfunktion hat - natürlich immer noch einen über sich hat.

Das ist bei Niedergelassenen nicht der Fall. Sie können Pleite gehen. Also es ist schon eine gewisse Unwucht darin, wenn man einen Angestellten - wie hoch qualifiziert er auch immer sein mag - mit einem im eigenen wirtschaftlichen Risiko stehenden Freiberufler vergleicht.

Wenn man den Tarifvertrag 2014 heranzieht, dann stellt man fest, dass sich die Oberarztgehälter deutlich nach oben entwickelt haben. Als Bemessungsgrundlage fließen sie ja in die Berechnung des kalkulatorischen Arztlohns ein. Sie liegen im Vergleich zur ursprünglichen Aufschlaggröße von 105.000 Euro heute bei rund 133.000.

An dieser Steigerung haben die Niedergelassenen nicht teilgehabt. Und wenn man dies auf die Gesamtheit der ganzen Kollegen umrechnen würde, dann würde sich ein Nachholbedarf von rund drei Milliarden Euro ergeben.

Warum haben Sie das sofort relativiert und gesagt, dass die Ärzte diese Summe nicht in einem Schritt bekommen könnten?

Andreas Gassen

Aktuelle Position: Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Werdegang/Ausbildung: Gassen studierte Humanmedizin in Düsseldorf.

Karriere: Seit 1996 als Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Rheumatologie in einer Gemeinschaftspraxis in Düsseldorf niedergelassen; seit 1. März Vorstandsvorsitzender der KBV, zuständig für die fachärztliche Versorgung.

Privat: geboren 1962 in Köln; Gassen ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

Gassen: Was man nicht vergessen darf, ist unsere alte Forderung nach festen und kalkulierbaren Preisen. Denn das ist das, was das System immer noch nicht bieten kann, und das ist das, was auch für viele Ärzte einen großen Teil der Verdrossenheit ausmacht.

Wir haben aktuell zum Beispiel aus Niedersachsen Zahlen bekommen, dass da rund 20 bis 25 Prozent der Leistungen nicht bezahlt werden. Ärzte erbringen immer deutlich mehr Leistungen als erstattet werden. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Das kann und wird auch nicht gutgehen.

Aber laut Ärztemonitor sind doch mehr Ärzte mit ihren Einkommen zufrieden als noch 2012…

Gassen: Wir haben eine zunehmende Verknappung der ärztlichen Ressourcen. Nicht nur, weil Ärzte insgesamt tendenziell weniger werden, sondern weil die neue Medizinergeneration eine etwas andere Vorstellung von der Arbeit hat als die bisherige Generation.

Wir werden also nicht mehr - ich sage mal selbstausbeuterisch tätige - Niedergelassene haben, die 60 Stunden die Woche klaglos für ein gedeckeltes Gesamtbudget erbringen, sondern wir werden Kolleginnen und Kollegen haben, die sagen, für mich ist nach 40 Stunden in der Woche Schluss.

Wir brauchen eine verlässliche Plangröße, und die brauchen wir in Form von festen Preisen, und deshalb war das auch einer der Aspekte, die aus unserer Sicht in die Honorarverhandlungen eingebracht werden müssen.

Wir müssen Leistungen definieren, für die es feste Preise gibt. Und dass uns das nicht in einem Rutsch gelingt und das auch für die GKV vielleicht in einem Rutsch gar nicht stemmbar ist, das sei konzidiert. Wir sind ja keine Phantasten, aber wir wollen uns auch nicht den Schneid abkaufen lassen. Wir brauchen feste Preise und die müssen angemessen sein.

Was ist angemessen? Das ist ja ein relativer Begriff.

Gassen: Das ist ein sehr relativer Begriff. Für angemessen würde ich es zumindest für den Moment halten, wenn jemand, der einen ärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgungsauftrag an gesetzlich versicherten Patienten erfüllt, dafür den kalkulatorischen Arztlohn erreichen könnte.

Das eigentlich Erschreckende ist, dass uns das noch nicht einmal mit den bisher angesetzten 105.000 Euro gelingt. Wir haben zunehmend Fachgruppen, die eben diesen kalkulatorischen Arztlohn - obwohl sie voll umfänglich GKV-Patienten versorgen - nicht erreichen können. Es gibt Fachärzte speziell aus dem patientennahen Bereich, die sich sehr schwer tun oder es häufig auch verfehlen, diese kalkulatorischen Arztlohnhöhe zu erreichen.

Welche Fachgruppen sprechen Sie an?

Gassen: Kinderärzte, Augenärzte, Gynäkologen, Dermatologen, Orthopäden. Da gibt es eine zunehmend größer werdende Gruppe, die für die Versorgung aus meiner Sicht unverzichtbar ist. Es muss übrigens auch für voll umfänglich im GKV-Bereich tätige Psychotherapeuten möglich sein, diesen kalkulatorischen Arztlohn zu erreichen.

Von der Kassenseite gibt es zumindest ein starkes Signal, was die Einzelleistungsvergütung angeht. Die Techniker Krankenkasse plädiert auf der Grundlage eines IGES-Gutachtens inzwischen dafür. Haben Sie noch mehr Signale in diese Richtung bekommen?

Gassen: Nein, habe ich nicht. Das wäre vielleicht auch verfrüht. Ich begrüße es, dass eine große Kasse anerkennt, dass ein gedeckeltes Gesamtbudget versorgungsfeindlich ist und dass die Einzelleistungsvergütung eine sinnvolle Ergänzung des Vergütungssystems darstellen kann.

Ich finde es einen positiven Aspekt, dass eine Krankenkasse sich mal von dem Gedanken der Flatrateversorgung verabschiedet. Ich kann nicht immer mehr Leistung einfordern und eine gedeckelte Gesamtvergütung aufrechterhalten. Das geht nicht zusammen in meinen Augen.

Ist es denn wahrscheinlich, dass so eine Budgetentdeckelung zumindest teilweise in dieser Runde schon kommt oder sehen Sie die Verhandlungen als Einleitung eines Prozesses, der unumkehrbar dahin führt?

Gassen: Ich würde sagen, beides. Ich halte es für möglich, dass man sich da auf einen ersten Schritt verständigen kann. Ich habe Verständnis dafür, dass auch Krankenkassen Kalkulationssicherheit brauchen.

Ich glaube aber, dass der Einstieg zumindest in eine Einzelleistung, die extrabudgetär zu verordnen ist, eigentlich sein muss. Da lasse ich mich überraschen, bin aber zunächst mal offen und hoffenatürlich auf einen gemeinsamen Gestaltungswillen.

Sehen Sie diese Leistung eher bei den Haus- oder bei den Fachärzten oder gibt es auch eine, die beide betrifft?

Gassen: Es wäre nicht sachgerecht, alle mit einer Einzelleistung zwangszubeglücken. Das funktioniert nicht immer. Das müssen wir in der EBM-Reform, die für die Fachärzte im nächsten Jahr ansteht, diskutieren.

Es wird Fächer geben, wo Einzelleistungsvergütung erforderlich und sinnvoll ist, und es wird vielleicht auch Bereiche geben, wo man sagt, die Pauschalierungen sind nicht in jedem Fall schlecht. Ich will nicht jede Pauschale verdammen. Ich glaube, der Mix macht es.

Es gibt einen Fahrplan für die Honorarverhandlungen. Bekommen Sie bis 31. August einen bundeseinheitlichen Orientierungswert hin?

Gassen: Das ist ungefähr der Zeitpunkt, den wir anstreben. Daran hängen ja auch die sich anschließenden Verhandlungen in den Regionen. Wenn wir zu spät sind, dann wird es für die regionalen KVen enorm stressig. Mitunter rutschen sie dann mit den Mengenverhandlungen sogar ins nächste Jahr. Das wollen wir vermeiden.

Rechnen Sie damit, dass der Schlichter angerufen werden muss?

Gassen: Passieren kann das immer. Es wäre natürlich schön, wenn wir es ohne Schiedsentscheidung hinbekommen, aber im schlimmsten Fall ist das dann eben so. Wir möchten nicht die Arbeit komplett bei Professor Wasem abladen. Wir werden versuchen, und das unterstelle ich jetzt einfach auch der Kassenseite, dass wir im Dialog auf das gleiche Ziel zusteuern werden.

Das ist, die Versorgung der Patienten sicher zu stellen. Wenn wir das hinkriegen, fände ich das sehr schön. Wenn nicht, dann gibt es Mechanismen, die uns eine Stufe weitertragen.

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