Corona-Impfstrategie

„Wir brauchen mehr Mut beim Impfen“

In Großbritannien werden jetzt bereits die unter 50-Jährigen geimpft. Das liegt vor allem an einer mutigeren Impfstrategie. Teil 7 unserer Serie in Kooperation mit IGES.

Prof. Dr. Bertram HäusslerVon Prof. Dr. Bertram Häussler Veröffentlicht:
Ein Arzt impft im Impfzentrum in der Messe Dresden einen jungen Mann gegen Corona. Eher ein seltenes Bild, da in Deutschland derzeit neben ausgewählten Berufsgruppen und Risikopatienten vor allem ältere Menschen geimpft werden.

Ein Arzt impft im Impfzentrum in der Messe Dresden einen jungen Mann gegen Corona. Eher ein seltenes Bild, da in Deutschland derzeit neben ausgewählten Berufsgruppen und Risikopatienten vor allem ältere Menschen geimpft werden.

© Robert Michael/dpa

Berlin. Die britische Variante des Coronavirus heißt bekanntlich nicht nur so, sondern kommt auch von dort und hat im Vereinigten Königreich (UK) wie ein Orkan gewütet. Der Inzidenzanstieg im Dezember in Deutschland war im Vergleich dazu ein laues Lüftchen. Unter Umständen kann dies auch hier passieren, muss es aber nicht.

Die Briten haben zu Beginn des Dezember-Ausbruchs nicht nur einen Lockdown verhängt, sondern am 7. Dezember auch ihr fantastisches Impfprogramm gestartet. Vier Wochen später ließ der Sturm bei den Infektionen nach. Während hierzulande die Corona-Fallzahlen wieder steigen, sinken sie auf der Insel beständig. Dort sind jetzt die unter 50-Jährigen mit dem Impfen dran. Bei uns bremst die Sorge um eine seltene Nebenwirkung der AstraZeneca-Vakzine das ohnehin langsame Impfprogramm weiter aus.

Kosteneffizienz versus Sparfuchs bei der Impfstoffbeschaffung

Was ist passiert? Die Briten haben offensichtlich klarer erkannt, dass man durch Impfen die Krise überwinden kann. Daran haben sie ihr Beschaffungsprogramm ausgerichtet und vorausgesetzt, dass die Ausgaben für ein komplettes Impfprogramm im Promillebereich des Bruttoinlandsproduktes liegen, die Folgen eines ausgedehnten Lockdowns aber leicht den Unterschied von zehn Prozent zwischen Wachstum und Rezession ausmachen können. In der Sprache der „Health economics“ (bekanntlich eine britische Disziplin): „It’s cost efficient“, und zwar so deutlich, dass man darüber nicht lange diskutieren muss. Das hat man in Europa offensichtlich anders gesehen, als im vergangenen Jahr der Sparfuchs mit am Verhandlungstisch saß.

Abb.: Entwicklung der 7-Tage-Inzidenz in Deutschland und im Vereinigten Königreich.

Abb.: Entwicklung der 7-Tage-Inzidenz in Deutschland und im Vereinigten Königreich.

© Quelle: IGES Pandemie Monitor

Mut zu verzögerter Zweitimpfung in Großbritannien

Noch etwas haben die Briten anders gemacht: Sie haben offensichtlich darauf vertraut, dass man die Zweitimpfung erheblich später geben kann, und dennoch eine deutliche Wirkung erzielen kann. Der extrem steile Rückgang der Infektionszahlen – der von deutlich rückläufigen Todesfallzahlen begleitet wird – gibt ihnen Recht. Bei einer Quote von 42,1 Prozent bei den Erstimpfungen, liegt die Quote bei den Zweitimpfungen lediglich bei 3,7 Prozent, also 11:1 für die Erstimpfung. In Deutschland sind die entsprechenden Quoten 9,6 zu 4,2 Prozent, also 2:1 für die Erstimpfung (jeweils Stand vom 23. März) – wie zu erwarten, wenn man sich streng an die Zulassung der Wirkstoffe hält. Was die Briten machen, ist sicherlich kühn. Aber bislang überwiegen die Hinweise, dass sie damit weiterkommen als wir. Hätte man diese Strategie in Deutschland angewendet, hätten wir heute rund 15 Prozent der Bevölkerung geimpft – immerhin das Doppelte von heute, aber immer noch weniger als die Hälfte von dem, was die Briten geschafft haben.

Professor Dr. Bertram Häussler ist Vorsitzender der Geschäftsführung des IGES-Instituts

Pandemie-Monitor

Wie ist die zweite Pandemie-Welle entstanden? Wie hätte sie verhindert werden können? Was kennzeichnet das derzeitige Ausbruchsgeschehen? Antworten auf diese und andere aktuelle Fragen gibt der IGES Pandemie Monitor.

Er bietet differenzierte Analysen über die Entwicklung der Pandemie und über die Treiber von Infektionen mit SARS-CoV-2. Dies soll die Anstrengungen aller unterstützen, die Pandemiedynamik besser zu verstehen und die richtigen Maßnahmen zu treffen.

Der IGES Pandemie Monitor versteht sich auch als Antwort auf das durch die Corona-Krise entstandene, große allgemeine Interesse an Gesundheitsdaten.

Der IGES Pandemie Monitor wird als Internetseite präsentiert, deren Inhalt laufend an das Geschehen angepasst wird.

www.iges.com/corona

Mehr zum Thema

Innovationsfonds-Projekt

Die „kurzstationäre Allgemeinmedizin“ geht live

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

© Viacheslav Yakobchuk / AdobeStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Springer Pflege

Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

COVID-19 in der Langzeitpflege

© Kzenon / stock.adobe.com

Springer Pflege

COVID-19 in der Langzeitpflege

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom