Interview

"Wir müssen jetzt etwas gegen den Ärztemangel tun"

Die Marschrichtung ist klar: Mit finanziellen Anreizen will Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) Mediziner in ländliche Gebiete locken. Mehrkosten für die Versicherten, erklärt der FDP-Politiker im Interview mit der "Ärzte Zeitung", bedeute das nicht zwangsläufig.

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Gesundheitsminister Rösler: "Starre Planungsvorgaben lehne ich ab - etwa bei der Entscheidung, welcher Arzt wohin geschickt wird."

Gesundheitsminister Rösler: "Starre Planungsvorgaben lehne ich ab - etwa bei der Entscheidung, welcher Arzt wohin geschickt wird."

© Hinkelbein

Ärzte Zeitung: Herr Minister, mit dem Versorgungsgesetz wollen Sie eine bessere ärztliche Versorgung für die GKV-Versicherten sicherstellen. Das klingt nach höheren Kosten. Haben Sie die schon durchgerechnet?

Dr. Philipp Rösler: Wir wollen die medizinische Versorgung in bisher unterversorgten Gebieten verbessern. Das betrifft gerade auch ländliche Regionen. Dazu sind bessere Anreize notwendig. Vorschläge dazu haben wir jetzt auf den Tisch gelegt. Klar ist: Verbesserungen in diesem überschaubaren Bereich müssen nicht unbedingt teurer werden.

Ärzte Zeitung: Die Koalition betreibt also erst "Wünsch-Dir-was"-Politik. Und die bittere Wahrheit -sprich höhere Beiträge - bekommen die Versicherten erst nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mitgeteilt?

Dr. Philipp Rösler: Die Versicherten müssen sich keine Sorgen machen. Mit der GKV-Finanzierungsreform, die zu Jahresbeginn in Kraft getreten ist, haben wir das System dauerhaft stabilisiert. Jetzt geht es darum, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gezielt gegen Probleme bei der Versorgung vorzugehen. Und die liegen im Wesentlichen an einer veralteten Bedarfsplanung und fehlenden Anreizen für die Niederlassung von Ärzten in ländlichen Regionen.

Ärzte Zeitung: Wenn man die Finanzierungsfrage jetzt nicht mitdiskutiert, steht am Ende jeder Vorschlag unter Finanzierungsvorbehalt.

Dr. Philipp Rösler: Zur Solidität und Seriosität von Politik zählt, zunächst die Frage zu diskutieren, welche Maßnahmen notwendig sind, um die medizinische Versorgung zu verbessern - insbesondere dort, wo wir Unterversorgung beklagen. Selbstverständlich spielen Fragen der Finanzierbarkeit dabei immer eine Rolle. Das ist am Ende ein Gesamtpaket.

Ärzte Zeitung: Dissens in der Koalition besteht bei der Bedarfsplanung. Sie wollen kleinräumig betrachten, nicht kleinräumig planen, so wie die Union es vorschlägt. Klingt nach Neuauflage des Gesundheitsstreits zwischen Union und FDP.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (38)

Werdegang/Ausbildung: 1992 Eintritt als Sanitätsoffiziersanwärter in die Bundeswehr; Medizinstudium in Hannover, 2002 Promotion im Bereich Herz-Thorax-Gefäßchirurgie.

Karriere: seit 2005 Mitglied des FDP-Bundespräsidiums; seit 2006 Chef der FDP Niedersachsen; Feb. bis Okt. 2009 Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr, seit Oktober 2009 Bundesminister.

Privates: Verheiratet; zwei Kinder; hört gerne Schlager und mag Lakritze und Burger.

Dr. Philipp Rösler: In der aktuellen Debatte über eine bessere Versorgung gibt es unterschiedliche Ansätze. Die SPD etwa will die Ärzte mit 25.000 Euro bestrafen, wenn sie keine schnellen Termine vergeben. Andere wollen kleinräumig planen. Ich will, dass der tatsächliche Bedarf an Haus- und Fachärzten abgebildet wird.

Starre Planungsvorgaben hingegen lehne ich ab, etwa bei der Entscheidung, welcher Arzt wohin geschickt wird. Wichtiger ist es, gezielt Anreize zu setzen, damit es für Ärzte attraktiver wird, sich in bisher unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten niederzulassen.

Ärzte Zeitung: Demnach bleibt alles wie gehabt - KVen und Kassen organisieren in Landesausschüssen die Bedarfsplanung.

Dr. Philipp Rösler: Ich habe vorgeschlagen, dass die Landesausschüsse von der starren Vorgabe abweichen können, den Bedarf an Ärzten nach Stadt- und Landkreisgrenzen abzubilden. Damit sorgen wir für mehr Flexibilität.

Ärzte Zeitung: Müssen Sie nicht, wenn Sie Sektoren überwinden wollen, die Kliniken stärker in die Bedarfsplanung einbinden?

Dr. Philipp Rösler: Das Problem besteht darin, dass Klinikärzte, die zur ambulanten Versorgung ermächtigt sind, bei der Beschreibung der Versorgungssituation vor Ort bisher nicht erfasst werden. Die Versorgungssituation kann damit nur unvollständig abgebildet werden. Das wollen wir ändern.

Was ich allerdings ablehne, sind gemeinsame Landesausschüsse in jedem Bundesland, die dann nicht nur planen würden, sondern auch in langwierigen Schiedsstellenverfahren Lösungen finden müssen.

Ärzte Zeitung: Die Kassen beharren auf dem Standpunkt: Ärzte gibt es genug, sie müssen nur besser verteilt werden. Was sagen Sie denen?

Dr. Philipp Rösler: Neben dem relativen Ärztemangel, der aktuell besonders auf dem Land relevant ist, droht wegen der heutigen Altersstruktur ein absoluter Ärztemangel. Das wird gerne übersehen. Ich empfehle, sich den Altersdurchschnitt der Vertragsärzte genauer anzuschauen.

Der liegt oberhalb von 50 Jahren. Daher sind wir jetzt gefordert, etwas gegen den Ärztemangel zu tun. Wir brauchen beides: perspektivisch mehr Ärzte und bessere Anreize, um die flächendeckende Versorgung auch weiter zu sichern.

Ärzte Zeitung: Die Kassen fordern, Zuschläge in unterversorgten Regionen müssten über Abschläge in überversorgten Gebieten finanziert werden. Ist das auch Ihr Modell, Herr Minister?

Dr. Philipp Rösler: Mit dem Versorgungsgesetz wollen wir Zu- und Abschläge ganz abschaffen - und zwar aus einem einfachen Grund: Wer als Arzt in einem überversorgten Gebiet tätig ist, wird sich bei Abschlägen zwar ärgern. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass kaum ein Arzt deswegen seine Praxis verlegen wird.

Wir müssen stattdessen Anreize neu setzen. Junge Mediziner, die sich mit der Frage der Niederlassung beschäftigen, müssen wissen, dass unterversorgte Gebiete attraktiv sind. Mit dem Aussetzen der Regelleistungsvolumina wollen wir einen solchen Anreiz setzen.

Ärzte Zeitung: Dissens in der Koalition herrscht auch beim Thema MVZ. Was genau will die FDP?

Dr. Philipp Rösler: MVZ sind unbestritten eine wichtige Form der Versorgung im ambulanten Bereich. Dort hat für uns die Freiberuflichkeit des Arztes Priorität. Die Mehrheit der Geschäftsanteile am MVZ muss in der Hand der Vertragsärzte liegen.

Eine Ausnahme bilden Regionen, in denen Unterversorgung herrscht oder droht. Dort soll von der Vorgabe abgewichen werden können. Das ist ein fairer Kompromiss, der die Reihenfolge unserer Prioritäten deutlich macht: Freiberuflichkeit des Arztes vor reinen Geschäftsmodellen mit betriebswirtschaftlichen Vorgaben.

Ärzte Zeitung: Keine MVZ-Neugründung durch eine AG, dafür aber durch eine GmbH. Eine private Klinikkette kann eine GmbH gründen, die dann ein neues MVZ etabliert?

Dr. Philipp Rösler: Auch diese GmbH wäre nicht in der Lage, Mehrheitsanteile am MVZ zu haben. Die Mehrheitsanteile müssen auch in diesem Fall bei den Vertragsärzten liegen. Das ist ein deutliches Zeichen für die Bedeutung der Freiberuflichkeit.

Ärzte Zeitung: Im Fall von Unterversorgung sollen auch Städte, Gemeinden und Kommunen Eigeneinrichtungen betreiben dürfen, so die KV es nicht tut. Was verstehen Sie unter "Eigeneinrichtung" - Einzelpraxis, MVZ oder beides?

Dr. Philipp Rösler: Auch hier gibt es eine klare Reihenfolge: Wenn sich kein Vertragsarzt findet, liegt der Sicherstellungsauftrag bei der KV. Die Kosten dafür - auch das ist ein FDP-Vorschlag - sollen aus der Gesamtvergütung und nicht aus den Verwaltungskosten der KV getragen werden.

Erst, wenn auch das nicht machbar ist, sollen die Kommunen für einen begrenzten Zeitraum die Möglichkeit erhalten, eine Eigeneinrichtung vorzuhalten - größtenteils eine Praxis. Nach einer bestimmten Frist muss der Arztsitz wieder ausgeschrieben werden.

Ärzte Zeitung: Für Ärger in den Praxen sorgen derzeit die Ambulanten Kodierrichtlinien. Sie haben vorgeschlagen, den Testlauf um ein halbes Jahr zu verlängern. War dieser Vorschlag mit dem KBV-Vorstand abgestimmt? Es wurden ja Stimmen laut, die behaupten, Sie hätten KBV-Chef Andreas Köhler damit einen Bärendienst erwiesen.

Dr. Philipp Rösler: Das war ein klares Plädoyer im Sinne der Vertragsärzte. Herr Köhler und ich stehen in engem Kontakt, auch in dieser Frage. Und wir sind uns einig, dass angesichts des verständlichen Unmuts über die Kodierrichtlinien schnell etwas passieren muss. Es reicht nicht aus, die Frist zu verlängern.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Morbidität in der Vergütung transparent abgebildet wird. Wir brauchen deshalb auch ein einfacheres Kodiersystem. Sollten hierzu gesetzliche Änderungen nötig sein, werde ich diese dem Parlament vorschlagen. Ärzte haben ihren Beruf erlernt, um Menschen zu helfen und nicht, um bis ins kleinste Detail zu dokumentieren.

Ärzte Zeitung: Sie haben angekündigt, nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) auf den Weg zu bringen. Bei der GOZ haben Sie auf die umstrittene Öffnungsklausel verzichtet. Wird das auch für die GOÄ gelten?

Dr. Philipp Rösler: Die jetzige Entscheidung betrifft die GOZ. Entscheidungen für die GOÄ werden wir erst am Ende der entsprechenden Beratungen treffen.

Das Gespräch führten Thomas Hommel und Wolfgang van den Bergh.

Von Bad Bergzabern über München nach Rottweil: Rösler auf Tour

Es ist Wahlkampfzeit. Gesundheitsminister Rösler reist derzeit quer durch die Republik. Er wirbt für seine Reformen bei ärztlicher Versorgung und Pflege: Montagabend ein Auftritt im "Haus des Gastes" in Bad Bergzabern in Rheinland-Pfalz, Dienstagmorgen eine Rede vor der Industrie- und Handelskammer Berlin, nachmittags weiter nach München. Rösler eröffnet eine Pflegeausstellung im Bayerischen Landtag. Am Mittwoch Zwischenstopp in Berlin, das Bundeskabinett tagt. Eine Minister-Rochade steht an. Donnerstag Auftritt in Empfingen in Baden-Württemberg, anschließend geht es weiter nach Rottweil, wo Rösler über "Ärzteversorgung im Ländlichen Raum" spricht. Die Botschaft ist klar: Die Liberalen wollen Motor der schwarz-gelben Reformbewegung im Gesundheitswesen sein. Das Versorgungsgesetz soll die Handschrift der FDP tragen: Mehr Flexibilität bei der Abbildung der Versorgungssituation vor Ort, aber keine "Beplanung". Mehr Anreize für Ärzte, die sich auf dem Land niederlassen, aber keine Abschläge für die, die in der Stadt praktizieren. Und wer soll das bezahlen? Die Antwort darauf gibt es später. Es ist Wahlkampfzeit. (hom)

Lesen Sie dazu auch: GOÄ und Öffnungsklausel: Rösler legt sich nicht fest

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